Die versteckte Lust der Frauen - ein Forschungsbericht
hergestellt.
Schauplatz ist nicht unbedingt eine Bar. Anstelle des Glöckchens ertönt manchmal ein Gong oder es gibt nur eine Ansage. Statt der vier Minuten sind es gelegentlich acht oder auch nur drei. Ein Aspekt variiert jedoch selten: Die Männer bewegen sich, treten näher, bevor sie gegenüber Platz nehmen; die Frauen verharren reglos. Die Agenturen begründen dieses Vorgehen mit der Tatsache, dass Frauen Handtaschen dabeihaben und das Plätzewechseln bei ihnen deshalb länger dauern würde. Oder sie berufen sich auf entsprechende Erwartungen: dass Männer die symbolische Kavaliersgeste übernehmen sollten, sich von ihrem Platz erheben, die Initiative ergreifen, während die Damen nur bequem zu beobachten brauchen. So läuft es jedenfalls.
Erfunden wurde das Speed-Dating übrigens in Los Angeles Ende der Neunziger von einem Rabbi, der händeringend versuchte, jüdische Paare zusammenzubringen. Nachdem es in Amerika und Europa bekannt war, machten es sich auch Wissenschaftler zunutze, um sexuelles Verlangen zu untersuchen. Dazu bediente man sich beispielsweise der Daten eines Unternehmens namens HurryDate und wertete die Entscheidungen von 10 000 Klienten aus. Andere veranstalteten selbst Events nach dem Vorbild von Speed-Dating und erhoben so eigenes Ausgangsmaterial. In allen Fällen zeigte sich jedoch ein Unterschied zwischen den Geschlechtern: Wenn es um den Wunsch nach einer zweiten Begegnung, nach einem richtigen Date also, geht, verhalten sich Frauen deutlich selektiver als Männer und sind mit sehr viel geringerer Wahrscheinlichkeit dazu bereit.
Für die Evolutionsbiologie war das eine Bestätigung bereits etablierter Gewissheiten. Männer sind darauf programmiert, zu erobern und zu befruchten, immer wieder, Frauen streben dagegen nach der Wahl des bestmöglichen Partners. Genetisch sind Männer dafür gemacht, unbändig zu begehren, Frauen sollen mit ihrem Verlangen bewusst Maà halten.
Die beiden Psychologen Eli Finkel von der Northwestern University und Paul Eastwick von der University of Texas in Austin kamen jedoch auf etwas, das Wissenschaftler als Störfaktor kennen, etwas, das die Daten durcheinander bringt und das als vermeintliche Erkenntnis einer Illusion Vorschub leistet. Dieser Faktor war eigentlich offensichtlich, trotzdem befasste sich keiner der Wissenschaftler, die sich des Speed-Datings bedient hatten, damit. Er wurde in keinem Aufsatz erwähnt, von niemandem als relevant erachtet. Was würde passieren, so fragten Finkel und Eastwick sich, wenn die Anweisung lauten würde: »Die Damen wechseln«, und die Männer warteten, während die Frauen zum Nächsten schlenderten?
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Ãberlegungen, die ich in diesem Buch zusammengetragen habe, sind ein Anfang. Nicht mehr. Keiner der Wissenschaftler, denen ich meine Einsichten verdanke, weder Meredith Chivers noch Kim Wallen, weder Marta Meana noch Jim Pfaus, würde behaupten, über definitive, ausformulierte Antworten zum Thema weibliches Verlangen zu verfügen. Sie alle, wie aussagekräftig ihre Experimente und wie bahnbrechend ihre Ideen auch sein mögen, sind sich vollkommen im Klaren darüber, dass es noch viele Schichten von Unbekanntem zu durchdringen gilt â und dass vorher noch viele Hindernisse zu beseitigen sind. Die Erforschung der weiblichen Psyche im Hinblick auf Sexualität ist, mit Ausnahme der pharma zeutischen Bestrebungen, beklagenswert unterfinanziert. Ihre Förderung steht seltsamerweise im umgekehrten Verhältnis zur Bedeutung. Erotisches Verlangen liegt dem zugrunde, was uns als menschliche Wesen ausmacht, doch wir scheuen die Erforschung unseres Innersten, und das tun wir vielleicht am heftigsten dort, wo man sie bislang am wenigsten begreift: bei den Frauen. Wo es Erkundung in Hülle und Fülle geben sollte, stöÃt man stattdessen auf weitverbreitete Vermutungen, unbewiesene Theorien, politische Restriktion und Blindheit in unterschiedlichen Formen.
Einmal fragte ich Meredith Chivers, warum ich bei meinen Recherchen eigentlich nie mit den Lehrstühlen für Psychologie in Harvard, Yale oder Princeton telefoniert, nie Zeit mit deren Professoren verbracht habe, warum so wenige der Elite-Unis in den USA ihrem Forschungsgebiet auch nur die geringste Beachtung schenken. »Weil es da eine Art Tabu gibt«, erwiderte sie. »Weil wir, die wir diese Arbeit machen, Forscher zweiter
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