Die versteckte Lust der Frauen - ein Forschungsbericht
er wehmütig, wie beraubt. Da die Amenorrhö sich verheerend auf ihre Hormone und die Biochemie ihres Gehirns auswirkte, verlor sie schon lange vor der Trennung das Verlangen nach ihm. Damit lieà auch ihre Liebe nach. Als sie schlieÃlich die Pille absetzte und wahrschein lich, ohne es überhaupt zu merken, mit ihrem Lauftraining und der Ernährung weniger streng war, erholte sich der Hormonhaushalt, und es kam zum Eisprung. Im Gehirn erstanden die für die Lust zuständigen Moleküle wieder auf. Allerdings kehrten die Gefühle für ihn nicht mehr zurück. Stattdessen bewirkte ihr wiedererwachter Sexualtrieb, dass sie vor ihm floh und dem Wunsch nach anderen Männern folgte. »Das Biologische veränderte ihre affektiven Gefühle für mich.« Wieder benutzte er den wissenschaftlichen Ausdruck. Niedergeschmettert. Sie beschloss, das Band zu zerschneiden, sich freizukämpfen. Die plötzliche Veränderung ihres molekularen Zustands kostete ihn die Liebe seines Lebens.
Zufällig hatte sie beide Male zwei Wochen gebraucht, um die Entscheidung zu fällen. Seine Freundin und deren Schwester hätten es missverstanden, meinte er. Die Psyche hatte nicht die Hormone gesteuert. Eher hatte die Bio chemie den Weg von Lust und Liebe bestimmt und alles zerstört.
Tuitens Ãberlegungen hatten ihn dazu gebracht, seinen ersten wissenschaftlichen Aufsatz zu schreiben und zu veröffentlichen, während er noch auf seinen Master hinarbeitete. (In dem Artikel ging es um das Erkennen von Kausalitäten, meinte er, »aber nicht um mein Leid«.) Später hatte sich daraus seine Dissertation ergeben, seine Erforschung eines biochemischen Strudels, der Mädchen in die Magersucht ziehen kann, und letztlich seine Forschung zum Thema Sex. Immer ging es dabei um Themen, die letztlich auch mit seiner jüngsten Entdeckung in Zusammenhang stehen. Das eine war die Macht der Chemie über die Psyche, das andere Timing. Es ging um die Molekulargeschichte, die biochemische Chronologie seiner eigenen Tragödie. Oder um seine Resequenzierung der Kräfte, die Mädchen in die Magersucht treiben. Nach den Erfahrungen mit einer anderen Freundin erforschte er auch die molekularen Bedingungen, die bei manchen Frauen ein schweres prämenstruelles Syndrom hervorrufen, mit Serotoninmangel und, gelegentlich, gesenkter Hemmschwelle und gesteigerter Lust. Viel später beschäftigte er sich mit der exakten Zeitverzögerung zwischen Testosterongaben und dem Aufflammen von Verlangen bei Frauen, die auf Infusionen des Hormons reagieren. SchlieÃlich dachte er auch über das Timing von Serotonin-Impulsen und das von Präparaten nach, die diesen Neurotransmitter zeitweise ausschalten.
Warum waren manche Frauen anfälliger dafür, dass das Verlangen nach ihren Langzeitpartnern rapide nachlieÃ, indem die Gewohnheit und etablierte Bindung das Feuer, den Reiz erstickten? Warum gelang es manchen besser, anderen schlechter, eine moderate Leidenschaft zu verspüren? Warum waren einige wenige sogar jahrzehntelang zu Leiden schaft und Hingabe imstande? Grundlegende Messungen der bluteigenen Hormone sagten nicht viel aus. Tuiten und seine Experten bei EB untersuchten jedoch, wie effi zient die Gehirnzellen einer Frau die Testosteronmole küle durchs Zellinnere führten, damit das Hormon seine Transformationsarbeit leisten und die chemischen Veränderungen in Gang setzen konnte, die die Lust ankurbelten. Zellen, die diese Aufgabe quasi widerwillig erfüllen â mit resistenten Molekularrezeptoren â, können eine Menge freigesetzten Testosterons teilweise wirkungslos machen. Aufgeschlossene Rezeptoren können einer Frau dagegen helfen, aus einer minimalen Menge sehr viel zu machen. Eine Funktionsweise hinter Tuitens Medikamenten bezog sich auf den genetischen Code, der etwas über den Charakter dieser Rezeptoren verrät. Den Code konnte man aus dem Blutbild herauslesen und daraus wiederum den Charakter der Rezeptoren ableiten. Das war ein Element im Versuch von EB , die molekularen Komponenten der sexuellen Psyche einzelner Frauen zu erkennen. Und es war ein Grund, warum Goldstein die Arbeit des Unternehmens für einen Durchbruch und für eine mögliche Antwort auf seine Testosteron-Rätsel hielt.
Ein anderer Aspekt des Testosteron-Systems und seiner Fähigkeit, die Dopamin-Ausschüttung anzuregen, beruhte auf etwas Primitiverem als dem genetischen Code.
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