Die versteckte Lust der Frauen - ein Forschungsbericht
Es ging dabei um die Länge des zweiten und vierten Fingers an der linken und rechten Hand einer Frau und um das rechnerische Verhältnis von Zeige- zu Ringfinger. Wendy und alle anderen Probandinnen waren bei ihren ersten Interviews für die Studien gebeten worden, ihre Hände auf einen Computerscanner zu legen. Diese Bilder waren dann an die Firma EB geschickt worden. Tuiten setzte auf den zunehmend deutlichen Beweis, dass bei Menschen wie bei Ratten die unterschiedliche Länge der beiden genannten Finger Rückschlüsse darauf erlaubt, wie empfänglich die Zellen einer Person (oder Ratte) für Testosteron sind.
Dann wäre da noch das Serotonin-Netzwerk, das seinen Sitz im Vorderhirn hat und in der Lage ist, Dopamin auÃer Kraft zu setzen, Stimuli auszufiltern und Verlangen zu unterdrücken. Es ist dafür zuständig, dass wir ruhig bleiben, vernünftig und planvoll handeln. Um einen Eindruck von der Wirkung des Serotonins zu bekommen, zog Tuiten ein anderes genetisches Skript heran, das sich mittels eines fluoreszierenden Farbstoffs, eines elektrisierenden Gels, sichtbar machen lieÃ.
Das waren bisher lauter angeborene Faktoren. Der Wissenschaftler berücksichtigte, soweit möglich, aber auch Er lerntes. Er wusste, dass das Sozialverhalten von entscheidender Bedeutung für die Wirkung von Serotonin und Dopamin, für ihr Zusammenspiel oder ihren Wettstreit war. Serotonin konnte entweder dem Gehirn den nötigen Kick verpassen oder stören, unterdrücken und die Lust ersticken. Er wusste auch, dass Repression oder Belohnung durch die Gesellschaft diese Systeme prägt. Um das zu messen, benutzte er eine Reihe von Fra gen zu den Themen Erregung, Orgasmus und Häufigkeit von Selbstbefriedigung. Zusammengenommen verrieten die Antworten â unvollständig, aber doch vielsagend â etwas über den Grad der Hemmung. Die Antworten der Frauen, ihren genetischen Code und das Verhältnis ihrer Fingerlängen zueinander benutzte er für eine Berechnung, einen Algorithmus. Diese Berechnung umfasste insgesamt elf Elemente. So konnte er ein Bild von der neurologisch bedingten Erotik einer Frau zeichnen.
Das alles mag zwar ein wenig verrückt klingen, aber es war der bislang detaillierteste Versuch einer Pharmafirma, diese Zusammenhänge zu begreifen. Es führte zur Zusammensetzung der beiden Medikamente sowie zu der Zuordnung, welche Frau welches davon nehmen sollte. Die Präparate sollten von den Frauen ein paar Stunden, bevor sie von Lust überwältigt werden wollten, genommen werden. Jedes besteht aus zwei Komponenten: einem Ãberzug aus Testosteron, der nach Pfefferminze schmeckt und im Mund schmilzt; das Innere der Tablette wird dann geschluckt, sobald der Minzgeschmack nachlässt.
Lybrido könnte man als den Cousin von Viagra bezeichnen. Lybridos besteht hauptsächlich aus Buspiron. Und dann kam Tuitens Faszination für Timing zum Tragen. Ihm wurde klar, dass er ein Zusammentreffen arrangieren konnte, sodass die Hochphase des Testosterons, also das sexuelle Vorglühen, zeitlich mit der Hilfe zusammenfiel, die viele Frauen von zwei anderen chemischen Stoffen brauchten. Diese Hilfe bestand im Fall des viagra-ähnlichen Stoffes im verstärkten Anschwellen der Genitalien, was die Empfindungsfähigkeit intensiviert, und in der erhöhten Dopamin-Produktion im Gehirn. Im Fall von Buspiron ging es darum, das Serotonin zu blockieren. Auf unterschiedliche Weise veränderten also Lybrido und Lybridos das Zusammenspiel von Serotonin und Dopamin.
Lybridos ist vielleicht die faszinierendere Erfindung, das bessere Beispiel für Tuitens Fixierung auf Timing. Buspiron ist ein Antidepressivum. Und wie alle Antidepressiva erhöht es den Serotoninspiegel. Aber es gibt einen Unterschied. Im Gegensatz zu den beliebtesten Antidepressiva, den selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern, den SSRI , verringert Buspiron zunächst kurz die Freisetzung des Neurotransmitters. AuÃerdem kommt es, wenn Buspiron nicht täglich eingenommen wird, zu keinem allmählichen An stieg des Serotoninspiegels. Der entscheidende Punkt ist die sehr kurze Dauer der Serotonin-Hemmung. Fällt die mit den Schlüsselstunden zusammen, in denen das Testosteron die Dopamin-Ausschüttung anheizt â selbst wenn das nur halbwegs gelingt, weil die Rezeptoren sich dagegen sträuben â, könnte Tuiten damit ein zeitlich begrenztes Verlangen provozieren.
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