Die Verstoßenen (Verlorene Erinnerungen) (German Edition)
sich die zerrissene Jeanshose an und das einfache
schwarze Oberteil. Er schlüpfte in seine schwarzen matten Boots, die er immer
im Wald trug, weil er unglaublich gut und bequem in ihnen laufen konnte. Übrig
von dem Haufen blieb nur noch eine Schlüsselkarte. Es war nur eine beschränkte,
er konnte nicht alle Türen oder Ports – es nannte man diese Art der
hochmodernen Türen - der Einrichtung damit öffnen, aber endlich konnte er
dieses kleine triste Zimmer verlassen. Hastig drückte er die Karte in das
elektromagnetische Feld und es löste sich auf. Er stürmte auf den Gang. Die Tür
schloss sich wieder. Auf dem Gang begegnete er Miss Sully, die ihn stumm
anlächelte. Sie hatte nach mehreren Stunden endlich verstanden, dass er nicht reden
wollte. Freundlich lächelte er zurück und zog sie näher zu sich. Dann flüsterte
er ihr etwas ins Ohr. Ein ganz leises bescheidenes Wort: „ Danke!“
Er wollte ihr nur zeigen, dass er wusste, dass sie ihm eigentlich nur
helfen wollte. Ihr Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen, dann sagte sie
ruhig: „Gerne. Und solltest du Probleme haben, dann findest du bestimmt einen
Weg mir eine Nachricht zu schicken, ich werde dann meine Verbindungen nutzen, um
dir zu helfen. Bleib stark, Jay!“
Dann drehte sie sich zu den Pflegerinnen weiter hinten im Gang um, lief
zu ihnen und verschwand durch eines der Tore. Aus den kleinen, zellenähnlichen
Zimmern strömten die Ropeys. Jays Blick schweifte umher, bis er an einer
Gestalt haften blieb. Er konnte den Blick nicht mehr von ihr wenden. Ein
Mädchen, kaum älter als vierzehn Jahre, ängstlich und klein, hilflos, betrat den
Gang. Sie trug noch die Einheitskleidung der Mädchen, ein kurzes weißes, gerade
geschnittenes Kleid und weiße Stoffschuhe. Die Kniestrümpfe waren in demselben
Dunkelblau wie die Einheitskleidung der Jungs. Sie tastete sich an der Wand
entlang, setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Er sah sie nur von
hinten, war sich aber sicher, dass sie nicht gerade hässlich war, und verletzt
sah sie auch nicht aus. Nur ihr Verhalten war komisch. Sie lief langsam, sehr
langsam, vorsichtig. Sie konnte sich nicht wirklich zurechtfinden. Jay lief ihr
nach, holte sie ein. Sie merkte nicht, dass er neben ihr lief. „Hey.“, sagte er
leise.
Erschrocken wand das Mädchen ihren Blick von der Wand des Ganges ab und
drehte ihren Kopf in Richtung Jay. Ihm blieb fast das Herz stehen. Ihr Gesicht
war entstellt. Rote blutige Schürfwunden, verbrannte Haut, sehr schwer
verbrannte Haut, rosafarbenes verletztes Fleisch. Doch er hatte sich nicht
geirrt, trotzdem war sie nicht hässlich. Ihr schmales Gesicht war umrahmt von
hellen, fast weißblonden Locken, die ihr teilweise wirr ins Gesicht hingen.
Dann bemerkte er das Schlimmste. Er starrte in ihre glasigen Augen und erkannte:
Sie konnte nichts sehen, würde nie wieder etwas sehen können. Sie war blind. Jay
war geschockt. Er wusste nicht, wie er mit der Situation umgehen sollte. Das,
was er sah, war so tragisch, dass er es nicht beschreiben konnte. Was sollte er
nun sagen? Sie war ein ganz normaler Mensch, also tat er so, als wäre das
Gesicht nicht so zugerichtet. Er sammelte sich und sagte sanft:
„Ich bin Jay. Es freut mich, dich kennen zu lernen. Wie ist dein Name?“
„Geh weg! Wenn du dich über mich lustig machen willst - Nein Danke!
Das haben schon genug andere vor dir getan, also spar dir deine Show und mach
einen Abflug!“
Verwundert starrte er die anfangs hilflos aussehende Kleine an. Er
wollte ihr nichts Böses, also sagte er ruhig: „Nein, ich will dir helfen!“
„Mir wäre damit geholfen gewesen, wenn deine Mutter neun Monate vor
deiner Geburt mal gründlich nachgedacht hätte“, schnaubte sie.
Was war nur los mit dem Mädchen? Er startete noch einmal neu:
„Wieso sollte ich mich über dich lustig machen? Verletzungen sind nicht lustig.
Ich weiß, das sieht man heutzutage in dieser Welt anders, aber ich bin nicht so,
nicht perfekt. Dir ist etwas Schlimmes passiert; ich weiß nicht was, aber es
muss heftig gewesen sein, wenn du solche Spuren tragen musst. Mir tut das
aufrichtig leid, und es macht mich betroffen, deswegen will ich dir helfen. Ich
bin doch selbst ein Ropey.“
„Ach ja? Warum bist du denn da? Bist du einfach nur hässlich oder
geht’s dir auch so beschissen wie mir“, zischte sie. Doch sie konnte diesen
schüchternen Gesichtsausdruck und diese hilflosen Bewegungen nicht verstecken.
Aber das wollte sie, sie wollte ihr
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