Die Verstoßenen (Verlorene Erinnerungen) (German Edition)
nie so lange gedauert.“
Nach einer kleinen Pause, sagte er etwas bedrückt: „Dein Dad ist schon
vor langer Zeit von uns gegangen. Es tut mir leid. Und was Mum betrifft, Mum’s
Reise dauert einfach etwas länger. Sehr viel länger. Du musst jetzt stark sein,
Penelope. Ich bin da, immer. Ich werde dich beschützen.“
Die Stimme des alten Herrn trat wieder in seinen Kopf. Er begann nun
die Namen zu verlesen. Seine raue Stimme schallte durch die warme drückende
Luft:
„Katherine O’Brien, Tom Wordy, Heather Willow, Sam
Fields, Alan Stanson, …”
Wie gebannt traten diese Leute nach vorne. Ihre Augen waren leer. Ihr
Blick starr auf den Boden gerichtet. Einige weitere Namen folgten. Dann zwei
Wörter! Nie hatte Jay gedacht, dass zwei Wörter seine ganze Welt zum Einsturz
bringen könnten! Doch genau das war passiert, als eben genau diese zwei Wörter,
ein Name, aus dem Mund des Botschafters kamen:
„Jay Stone!“
Reglos blieb er stehen, seine Schwester in den Armen haltend. Er sah
alles nur noch verschwommen, nahm nicht mehr viel wahr. Doch er merkte wie sie
weinte, Penelope weinte und schrie. Die Menschen rund um ihn gingen immer
weiter zur Seite. Der Personalservice riss ihm Penelope aus den Armen. Sie
wehrte sich, biss den Muskelpaketen in den Arm. Sie hielt ihn am Ärmel fest und
schrie:
„Nein! Nein! Neeeeeein!“
Die Tränen wollten nicht weniger werden, sie rannen wie Sturmfluten
über ihre zarte Haut. Jay konnte es immer noch nicht glauben. Er musste in die
Reservate, wurde verbannt und seine Schwester war allein, würde für immer
alleine sein, ohne ihn und ohne Eltern. Sie wür-de in eine Pflegefamilie
gesteckt werden. Er würde in verwildertes Gebiet gehen, er würde nicht mehr
lange leben, er würde dort nach kurzer Zeit draufgehen, das war klar. Er konnte
es einfach nicht fassen! Er wurde weggerissen, Penelope ließ nicht los, der
Ärmel riss. Sie hielt nur noch einen Stofffetzen in der Hand. Die Kleine brach
zusammen, krümmte sich auf dem Boden, weinte und schrie immer lauter. Man
beachtete sie nicht. Er war der letzte Auf-gerufene, er wurde in das Gebäude
gezerrt. Nun schrie auch er, er schrie nach Penelope, ver-zweifelt, doch keiner
hörte ihm zu. Keiner beachtete ihn. Er war ein Niemand, genau des-wegen musste
er gehen. Er sackte in sich zusammen und prallte mit einem dumpfen Schlag auf
den Boden. Alles wurde schwarz um ihn herum.
Kapitel 2
Verträumt schaute er in den großen Raum. Weiß und steril. Alles war so
hell. Er kniff die Augen wieder zusammen und versuchte sich an das ungewohnt
klare Licht zu gewöhnen. Müde gähnte er, setzte sich auf. Er saß in einem
kleinen weißen Bett. Wo war er? Ganz anders hatte er sich die Reservate
vorgestellt. War er überhaupt in den Reservaten? Er spürte den Schmerz hinter
seinem Ohr, er fuhr mit seinen Fingern über die brennende Stelle. Der Schmerz
durchschoss seinen Körper. Es war genäht. Etwas wurde entfernt und er wusste
auch was. Seine ID, seine Identität! Sein Anspruch auf Rechte, ärztliche
Versorgung und alles andere, was bedeutend für die Gesellschaft war. Jetzt war
er ein Niemand, ein richtiger Niemand! Er wurde nicht ständig überwacht, man
konnte ihn nicht mehr orten. Der Chip, der unter der Haut eingepflanzt war und
auf dem alle seine Daten gespeichert waren, wurde entfernt und somit hatte er
auf nichts mehr einen Anspruch. Er wusste nicht, ob er deswegen traurig sein
sollte oder glücklich. Er hörte Schritte auf dem Gang. Gebannt schaute er auf
seine Zimmertür, konnte aber leider nicht allzu viel erkennen. Eine junge Frau,
bestimmt nicht älter als 29, stand außen davor. Unter ihrer weißen Haube
fielen ein paar Strähnen ihres blutroten Haares aus dem streng nach hinten
gebundenen Zopf. Sie berührte die Tür mit zwei Fingern und zog den einen
schräg nach oben, den anderen schräg nach unten. So entstand eine Art kleines
Rechteck. Als ihr die Größe passte, löste sie die Finger von der elektronischen
Tür. Genau in diesem Rechteck, das sie gezeichnet hatte, löste sich das dünne
Magnetfeld der Tür. Die Frau im weißen Kittel spähte hindurch, erkannte, dass
Jay wach war. Sie tippte einmal lange auf den kleinen Punkt in der oberen Ecke
des Rahmens. Der Sensor erkannte, wie auch vorhin schon, ihren Fingerabdruck
und so löste sich das weiße Feld komplett auf, sodass dort keine Tür mehr war,
sondern nur ein offener Durchgang. Dann trat die Frau in den Raum. Hinter ihr
strömte wieder das blasse Weiß
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