Die Verstummten: Thriller (German Edition)
Aktion herbeigewünscht, nur damit er keine Auskunft über ihre Mutter geben musste.
»Kleb die Leuchte aufs Dach«, forderte er sie auf. »Als Signal für die anderen, langsamer zu fahren.« Sie zog das Blaulicht aus dem Handschuhfach, öffnete das Fenster und setzte es aufs Autodach. Der Fahrtwind linderte ihre Übelkeit. Tief sog sie die kühlende Luft ein. Vor ihrem inneren Auge sah sie immer noch die angstgeweiteten Augen des jungen Geisterfahrers.
Nachdem sich der Mini überschlagen hatte, war er weit hinten an die Mittelleitplanke geprallt und stand nun halb im Grünstreifen und halb auf der linken Spur. Der Volvo, den sie gerade erreicht hatten, hing mit dem rechten Rad in der Böschung, die linke Vorderseite war eingedrückt.
Matte stellte den Motor ab und stieg aus. »Schau du nach den Verletzten, ich versuche den Verkehr aufzuhalten.« Er holte das Warndreieck und eine Kelle aus dem Kofferraum, den Stock auf der Rückbank ignorierte er. Mit großen Schritten spurtete er auf die Autobahn und schwenkte die Kelle, um die nachfolgenden Fahrer zu warnen.
Carina suchte nach dem Verbandkasten unter dem Rücksitz. Keiner da. Wie vorbildlich, vor allem für einen Polizistenwagen. Sie streifte sich Einmalhandschuhe über, von denen sie immer welche in ihrer Umhängetasche hatte, und stieg aus. Einen Moment schwankte sie. Der Kreislauf. Sie senkte den Kopf zu Boden, atmete tief ein und aus und wandte sich der Volvofahrerin zu, die bereits aussteigen wollte.
»Sind Sie verletzt?« Carina trat rasch auf sie zu und berührte die Frau an Schulter und Arm.
»Nein, ich glaub, mir ist nichts passiert.« Die Fahrerin war zwar blass, schien aber wirklich unverletzt.
»Setzen Sie sich wieder und bleiben Sie bitte im Wagen, bis der Notarzt kommt«, bat Carina, griff auf den Rücksitz, wo eine blaue Decke voller Hundehaare lag, und hüllte die Frau darin ein.
Dann spähte Carina über den Volvo hinweg. Ihr Vater hatte es tatsächlich geschafft, den Verkehr abzubremsen und an der Unfallstelle vorbeizuleiten. Einspurig, wie im Gänsemarsch, mit Warnblinklicht, fuhren die Autos weiter. Carina wartete eine Lücke ab, gab dem nächsten Wagen ein Handzeichen und rannte quer über die Straße.
Der Kopf des Minifahrers war im Airbag versunken, sein linker Arm hing aus dem zersplitterten Fenster. Sie beugte sich zu dem jungen Mann hinunter und sprach ihn an. »Hallo, können Sie mich hören?« Er reagierte nicht, atmete nur flach und kaum wahrnehmbar. Im Wrack eingesperrt … eine Erinnerung blitzte in ihr auf. Ganz allein hatte sie in Mexiko ums Überleben gekämpft, weil ihr Exfreund sie für tot gehalten hatte und abgehauen war. Wie oft würde sie das noch einholen? Aber das war längst überstanden, sie konnte sich auf die Gegenwart konzentrieren. Zuerst tastete sie durch das Fenster nach der Halsschlagader des Fahrers und fühlte seinen Puls. Er lebte. Vorsichtig hob sie sein Gesicht aus dem Airbag. Seinen noch nicht ganz ausgeformten Gesichtszügen nach, halb Kind, halb erwachsen, schätzte sie ihn auf höchstens achtzehn. Er musste gerade erst den Führerschein gemacht haben. Seine Haut glühte. Auf der Nasenspitze, den Wangen und der Stirn bildeten sich Brandblasen, durch die ausströmenden Gase beim Entfalten des Luftsacks hatte er Verbrennungen erlitten. Auch wenn die Dinger inzwischen sehr gut den Kopf- und Halsbereich schützten, sicherten sie nicht gegen alle Arten von Verletzungen. Aus einer großen Schnittwunde am Ellbogen lief Blut. Vorsichtig hob sie den Arm an, wischte mit der Shirtkante die Glassplitter aus dem Fensterrahmen, legte den Arm wieder ab und presste mit zwei Fingern die Schlagader nahe der Achsel ab, bis die Blutung aufhörte. Dann suchte sie den Oberkörper des Verletzten ab, ertastete eine Fraktur an der Schulter, aber keine größeren offenen Wunden. Erst als sie mit der freien Hand vorsichtig den Kopf drehte, merkte sie, dass aus dem rechten Ohr Blut sickerte. Ob es aus dem Gehörgang kam oder von außen in die innere Ohrmuschel gelaufen war, konnte sie wegen der vielen Verletzungen nicht feststellen. Es bestand definitiv der Verdacht auf eine Schädelbasisfraktur. Wie lange brauchte die Rettung, um hier zu sein? Er musste so schnell wie möglich aus dem Auto heraus und beatmet werden. Mit den Fingern auf der Schlagader konnte sie nicht weg, bis Hilfe eintraf. Hoffentlich waren seine Beine nicht eingeklemmt. Die Fahrertür ließ sich nicht öffnen, mit einer Hand schon gar nicht. Sie spähte
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