Die Versuchung
ihm bitte, dass wir beinahe zwei Stunden auf ihn gewartet haben, dass das Abendessen fertig ist und dass ich ihn bitte, so wie er ist gleich zu kommen und ausnahmsweise keine Abendtoilette zu machen.“
Isabelle hatte keine Gelegenheit, ihren Auftrag auszuführen, denn Hamilton trat bereits eilig in den Salon und übergab Madame Rosenberg einen schlecht zusammengefalteten Brief, der mit einer Oblate verschlossen war.
„Von meinem Vater?“, rief sie überrascht.
„Ja, er hat nichts dagegen, dass ich Sie begleite. Er meint, es werde ausreichend Platz sein, da Franz in der Schule bleibt.“
Madame Rosenberg überflog hastig den Brief und sagte dann zufrieden: „Sie scheinen ihm wirklich gefallen zu haben. Und da Sie mit den Kindern reisen möchten, muss Isabelle Ihr Zimmer in Ordnung bringen, hörst du, Isabelle?“
„Ja, Mama!“
„Ihr Großvater hat nach Ihnen gefragt“, sagte Hamilton zu Isabelle.
„Er ist nicht mein Großvater – wir sind gar nicht miteinander verwandt“, antwortete sie auf Französisch, worauf Hamilton verlegen errötete.
„Ich verstehe kein Französisch“, sagte Madame Rosenberg, „aber ich kann mir denken, um was es geht. Lies diesen Brief, Isabelle. Mein Vater ist bereit, sich so zu verhalten, als sei er dein Großvater. Verwandele seine Großzügigkeit nicht durch falschen Stolz in Abneigung.“
Sie nahm den Brief und den nicht unverdienten Tadel schweigend hin.
„Ich werde Sie dort draußen besuchen, sobald mir der Doktor die Pferde überlässt“, sagte Madame Berger zu Hamilton.
„Ich bitte Sie, den Doktor mitzubringen“, sagte Frau Rosenberg nachdrücklich, worauf Hamilton lachte. Olivia fragte nach dem Grund, worauf er ihr ohne jede Verlegenheit erzählte, was er heute Nachmittag über sie gesagt hatte.
„Eines ist sicher“, sagte sie dann, „wenn Sie ebenso viele Monate mit mir zusammen gewesen wären wie mit Isabelle, dann hätten wir ...“
„Sie scheinen Ihren Mann zu vergessen“, sagte Madame Rosenberg fast zornig.
„Um die Wahrheit zu gestehen, so vergesse ich tatsächlich manchmal, dass ich verheiratet bin, aber Herr Hamilton ist ein Gentleman, ein Kavalier, Sie brauchen sich also keine Sorgen zu machen. Und jetzt sollte ich wohl am besten nach Hause gehen. Bon soir!“
„Gute Nacht!“, sagte Madame Rosenberg trocken.
20
Nach wenigen Tagen hatten sich Isabelle, Hamilton und die Kinder in ihrem neuen Zuhause halbwegs eingerichtet. Der Lärm des nahen Eisenwerks war allerdings tatsächlich Tag und Nacht zu hören, was Hamilton aber nicht allzu sehr störte, denn in den zwei Wochen vor Madame Rosenbergs Ankunft genoss er den völlig ungezwungenen Umgang mit Isabelle. Er beobachtete sie, wenn sie morgens den Kaffee eingoss, saß am Fenster zum Garten hinaus neben ihr und begleitete sie auf ihren Spaziergängen mit den Kindern im Eichenwald, wo eine kleine Kapelle stand, in der sie täglich betete, während Hamilton am Eingang lehnte, die aufgehängten Votivtafeln betrachtete oder versuchte, die Gebete und Bibeltexte zu entziffern, die an die Wände geklebt waren. Die wilden Knaben sprangen gewöhnlich umher, bis sie weitergingen.
„Ich wollte, ich könnte die nächsten sechs Monate so verbringen wie die letzten vierzehn Tage“, sagte Hamilton, als sie am Abend vor Madame Rosenbergs Ankunft auf dem Heimweg über die Felder schlenderten. „Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr ich Ihre Gesellschaft genieße. So freundlich Ihre Stiefmutter auch zu mir ist, so muss ich doch zugeben, dass ich ein wenig Angst vor ihrer Ankunft habe. Es wird sich vieles verändern ...“
„Sie haben nichts zu befürchten außer einer Veränderung der Möbel in Ihrem Zimmer“, antwortete Isabelle lächelnd. „Aber für mich wird sich natürlich einiges ändern. Ich muss jetzt kochen und waschen und plätten lernen. Aber ich kann mich darüber nicht beklagen, andere Mädchen in meiner Lage müssen auch ohne Dienstboten auskommen. Selbst Sophie hat inzwischen plätten gelernt. Haben Sie gesehen, wie sie die Hemden von Major Stutzenbacher geplättet hat, als wir zu ihr gingen, um uns zu verabschieden?“
„Ja, aber er ist ihr Mann, und sie muss es nur tun, wenn sie Lust dazu hat, denn in Wirklichkeit nimmt Walburga ihr diese Arbeiten ab. Sophie machen diese Hausarbeiten vielleicht sogar Spaß, aber für Sie ...“
„Sie haben vermutlich recht, aber ich bin ebenso wie Sophie nur die Tochter eines einfachen Beamten, nicht mehr. Für meine Schönheit kann
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