Die Versuchung
dass Frauen auf das Aussehen viel weniger Wert legen als Männer.“
Hamilton biss sich nervös auf die Lippen. Die Baronin sah ihn forschend an und fragte dann: „Täusche ich mich oder bereitet Ihnen der Gedanke, dass Isabelle den jungen Graf Zedwitz oder vielleicht auch einen anderen heiraten könnte, mehr als nur leichtes Unbehagen?“
„Nein, Sie täuschen sich nicht“, sagte er seufzend. „Da sich Zedwitz Ihnen anvertraut hat, kann ich es wohl auch tun. Ich habe lange versucht, mich selbst zu belügen, aber es hat keinen Sinn – ich habe mich leidenschaftlich und sehr ernsthaft in Isabelle verliebt.“
„Sie sind auch noch sehr jung. Ein paar Monate in London und ein wenig Ablenkung ...“
„Sie irren sich“, sagte Hamilton ernst. „Weder einige Monate noch einige Jahre werden etwas an meinen Gefühlen ändern.“
„Es tut mir sehr leid, das zu hören“, bemerkte die Baronin. „Und da ich Sie damals nach Seeon gelockt habe, muss ich mich wohl auch noch schuldig fühlen.“
„Ich hatte ganz vergessen, dass Ihr Brief letztlich für alles verantwortlich ist“, sagte Hamilton lächelnd. „Aber es wäre alles nur halb so schlimm, wenn Isabelle mich lieben würde.“
„Ach, sie liebt Sie gar nicht?“, fragte die Baronin überrascht.
„Das weiß ich nicht – ich befürchte es. Wenn es Sie nicht langweilt, dann würde ich Ihnen gern ausführlich erzählen ...“
„Warten Sie“, unterbrach sie ihn. „Ich kenne diese Isabelle nur vom Sehen, aber ich kenne Sie ein wenig und habe Kontakt zu einem Ihrer Verwandten gehabt. Deshalb muss ich Ihnen raten, diese ganze Geschichte zu beenden, wenn Sie es noch mit Anstand tun können, und wenn Sie glauben, dass die junge Dame Sie wahrscheinlich gar nicht liebt, dann ist es ganz sicher das Allerbeste.“
„Aber vielleicht hat sie mir ihre wahren Gefühle nur deshalb nicht verraten, weil ich ihr gesagt habe, dass ich sie nicht heiraten kann.“
„Das ist natürlich möglich, sofern sie klug ist. Aber da Sie sie ja nun wirklich nicht heiraten können, wäre es für alle Beteiligten am besten, die ganze Sache so schnell wie möglich zu vergessen.“
„Eine Heirat wäre nicht völlig unmöglich, auch wenn meiner Familie das vermutlich nicht gefallen würde … Ich habe sicher schon einmal meinen Großonkel Jonathan erwähnt, der in Indien ein ansehnliches Vermögen erworben hat, das er durch geschickte Spekulationen in England sogar noch vermehrt hat. Da er keine eigenen Kinder hat und er der Patenonkel meines älteren Bruders John ist, der also eigentlich auch Jonathan heißt, wollte er sein Vermögen eigentlich John hinterlassen. Aber John war ein schlechter Schüler, außerdem war er schon in jungen Jahren ein echter Draufgänger und Tunichtgut, weshalb er mit vierzehn Jahren einen Schulverweis erhielt und Eton verlassen musste. Mein Onkel beschloss daraufhin, mich als seinen Erben einzusetzen. Er übernahm die Kosten für meine Erziehung, kaufte mir ein Pferd, gab mir ein großzügiges Taschengeld und hat auch meinen Aufenthalt in Deutschland ausdrücklich gewünscht. Durch meine Cousins hat er von Isabelle erfahren, die die ganze Sache sicher aufgebauscht haben, um sich wichtig zu machen. Jedenfalls hat er mir geschrieben und mir nahe gelegt, diese Affäre, wie er es nennt, durch Zahlung einer größeren Geldsumme zu beenden! Ich soll ihr Geld anbieten, damit sie auf mich verzichtet … Dabei hatte sie mir selbst geraten, nach England zurückzukehren, um meine Familie nicht gegen mich aufzubringen, schon bevor der Brief eintraf.“
„Und das hat sie getan, ohne irgendwelche Gefühle zu zeigen?“
„Ja – aber man muss wissen, dass sie in einer Klosterschule erzogen wurde, in einem katholischen Internat, in der man ihr beigebracht hat, dass Selbstbeherrschung die höchste Tugend ist und dass es überhaupt unschicklich ist, irgendwelche Gefühle zu zeigen. Es galt als erstrebenswert, alle Gefühlsregungen zu verbergen und nach Möglichkeit ganz zu ersticken. Wenn Isabelle nicht im Grunde eine sehr warmherzige und temperamentvolle Person wäre, hätte diese Erziehung sie völlig verdorben.“
„Aber wenn Sie nach fast einem Jahr immer noch nicht wissen, ob sie sich etwas aus Ihnen macht ...“
„Sie weiß, dass ich als jüngerer Sohn in den nächsten Jahren nicht heiraten kann, weil ich ihr das schon vor vielen Monaten erzählt habe. Bis vor kurzem hatte ich auch wirklich nicht vor, eine womöglich glänzende berufliche Laufbahn für eine
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