Die Versuchung
Frau zu opfern, und natürlich würde es mir nicht leicht fallen, meine Familie vor den Kopf zu stoßen. Aber mittlerweile bin ich mir meiner Liebe so sicher, dass ich notfalls bereit wäre, mich von meinem Onkel enterben zu lassen und nicht zu meiner Familie nach England zurückzukehren – wenn ich nur wüsste, ob sie meine Gefühle insgeheim erwidert.“
„Verfügen Sie denn über ein eigenes Vermögen, das Ihnen einen solchen Schritt ermöglichen würde?“
„Ich habe fünftausend Pfund, die mir ein entfernter Verwandter hinterlassen hat – das Geld steht mir allerdings erst in einem Jahr zu Verfügung. In England würde ich damit nicht allzu weit kommen, aber das Leben in Deutschland ist deutlich billiger.“
„Trotzdem muss ich Ihnen raten, noch diesen Monat zu Ihrer Familie zurückzukehren, und zwar ohne vorher Mademoiselle Rosenberg einen Heiratsantrag zu machen oder irgendwelche Versprechen zu geben – wenn man jung und sehr verliebt ist, tut man mitunter auch sehr unvernünftige Dinge, die man später bitter bereut. Sie müssten auf jeden Fall ein ganzes Jahr in England verbringen, und in dieser Zeit könnten sich Ihre Gefühle abgekühlt haben oder auch die der jungen Dame, sofern sie denn welche für Sie empfindet.“
„Ein Jahr wird an meinen Gefühlen nicht das Geringste ändern.“
„Natürlich glauben Sie das. Aber Ihr Onkel wird Sie nach Paris schicken, Ihnen eine Menge Geld schicken, Sie werden einer Menge Versuchungen ausgesetzt sein, und schließlich würden Sie an Isabelle schreiben, um ihr mitzuteilen, dass Sie leider nicht die Einwilligung Ihrer Familie bekommen und sie nicht heiraten können, weil sie ihr ein Leben in Armut ersparen wollen, um ihr nicht zu sagen, dass Sie sich in eine andere verliebt haben, die ebenso hübsch ist. Es ist völlig ungewiss, ob sie den jungen Graf Zedwitz Ihretwegen abgewiesen hat, aber als Ihre Verlobte würde sie einen erneuten Antrag natürlich ablehnen. Sie würde ein Jahr lang vergeblich auf Sie warten, bitter enttäuscht werden … Das können Sie ihr durch Vernunft und Einsicht ersparen. Sie wird sicher noch lange an Sie denken, aber ihre Erinnerung wird frei sein von Schmerz. Wenn Maximilian erneut um ihre Hand anhält, wird sie ihm vermutlich sagen, dass sie ihn zwar schätzt, aber nicht liebt – aber sie wird ihn heiraten – und sie wird vermutlich eine gute Ehefrau sein und im Laufe der Zeit wirklich glücklich werden.“
„Nun, vermutlich müssen Sie so sprechen, schließlich sind Sie mit der Familie Zedwitz befreundet“, sagte Hamilton mit einer gewissen Bitterkeit. „Darf ich fragen, was nach Ihrer Vorstellung aus mir wird?“
„Ich sagte bereits, dass Sie einige Zeit ein luxuriöses Leben im Ausland genießen werden, eingeführt in die besten Kreise der Gesellschaft, und in ein paar Jahren werden sie eine Lady Jane oder eine Lady Mary heiraten, die ihnen ebenso gut gefallen wird wie jetzt Isabelle.“
„Man könnte fast meinen, Sie sprächen im Namen von Onkel Jonathan“, rief Hamilton zornig und sprang von seinem Stuhl auf. „Sie werden sicher verstehen, dass ich bereits morgen wieder nach München reisen werden, um Isabelle daran zu hindern, ihre Gouvernantenstelle in Frankreich anzutreten.“
„Ich weiß kaum, was ich sagen soll“, erwiderte die Baronin erstaunt. „Eigentlich habe ich Sie für einen sehr vernünftigen jungen Mann gehalten … Aber ich habe Ihnen selbstverständlich keine Vorschriften zu machen, ich bin weder Ihre Mutter noch sonst in irgendeiner Weise mit Ihnen verwandt. Trotzdem habe ich Sie in gewisser Weise ins Herz geschlossen und deshalb möchte ich Sie bitten, mir irgendwann zu schreiben, um mir den Ausgang Ihrer Liebesgeschichte mitzuteilen.“
22
Zwei Tage später war Hamilton wieder in München und auf dem Weg zu Sophie, von der er sich noch nicht verabschiedet hatte. Außerdem hoffte er natürlich, von ihr etwas über Isabelles Pläne für die nahe Zukunft zu erfahren. Walburga öffnete ihm und war hoch erfreut, ihn wiederzusehen. Sie teilte ihm mit, dass „die gnädige Frau“ zuhause sei, der Major den Abend aber wie gewöhnlich im Wirtshaus verbringe.
Als Sophie ihn im Salon empfing, rief sie: „Ich wusste, dass Sie Bayern nicht verlassen würden, ohne sich von mir zu verabschieden! Ich habe es Xaver und Isabelle gesagt!“
„Sie waren also gestern draußen bei Ihrer Mutter?“
„Nein – Isabelle war hier, ehe sie nach Frankfurt abgereist ist, wo die Dame wohnt, die sie nach
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