Die Versuchung
Südfrankreich begleiten soll.“
Hamilton wurde blass. „Sie ist – jetzt schon abgereist?“
„Ja, gestern. Ich habe die ganze Zeit geweint, als sie sich verabschiedet hat.“
„Und Isabelle?“, fragte Hamilton.
„Sie war sehr ruhig und hat mir versichert, dass sie immer darauf vorbereitet war, demnächst als Gouvernante zu arbeiten. Es mache ihr nichts aus.“
„Dann war sie also gar nicht traurig – das Dorf und das Eisenwerk zu verlassen“, bemerkte Hamilton mit einem gezwungenen Lächeln.
„Sicher nicht, schließlich waren Sie ja nicht mehr dort“, antwortete Sophie.
„Wie meinen Sie das?“, fragte Hamilton rasch.
„Nun, da Sie der Einzige waren, mit dem sie sich dort unterhalten konnte, hätte sie sich schnell gelangweilt, nachdem Sie abgereist waren.“
„Ich verstehe“, sagte Hamilton. „Hat Sie mich überhaupt erwähnt?“
„Oh ja, wir haben viel von Ihnen gesprochen.“
„Ich habe mir eingebildet, dass ich ihr etwas bedeute ...“, begann er.
„Natürlich bedeuten Sie ihr etwas, das hat sie mir auch gesagt, sie hält sehr viel von Ihnen. Aber sie empfindet für Sie nicht das, was Xaver gedacht hat, als Sie damals mit ihr nach Moosingen gegangen sind. Er sagte damals, dass es sehr unklug von der Mama sei, Sie dorthin mitzunehmen – und dass Sie hätte darauf bestehen müssen, dass Sie das Haus verlassen, als der Papa gestorben ist.“
„Sie wollte, dass ich das Haus verlasse ...“
„Ja, nachdem Xaver mit ihr gesprochen hatte … und er war sehr böse, als er gehört hat, dass Sie doch mit aufs Land gehen. Er sagte ...“
„Was sagte er?“
„Er sagte, dass … dass er sich unter diesen Umständen überhaupt nicht wundern würde, wenn Sie und Isabelle … zusammen ins Heu gingen! Er drückt sich manchmal etwas unanständig aus, wissen Sie.“
Hamilton musste wider Willen lachen.
„Sie denken sicher, dass ich scherze, aber er hat noch ganz andere Dinge gesagt, die ich unmöglich wiederholen kann. Deshalb war ich sehr froh, dass Xaver völlig Unrecht hatte und dass Isabelle Sie nicht auf diese Art liebt … also ich meine, dass sie Sie einfach nur sehr gern hat. Als ich sie einmal fragte, ob sie auf Olivia eifersüchtig sei, hat sie mich ausgelacht.“
„Hat sie das?“, fragte Hamilton.
„Ja. Und obwohl Isabelle nie mit mir darüber gesprochen hat, habe ich doch herausgefunden, wen sie wirklich liebt.“
„Tatsächlich? Wie haben Sie das angestellt?“
„Vorgestern, als Isabelle hier war, kam auch Olivia zu Besuch und machte alle möglichen Bemerkungen über Sie, aber als sie merkte, dass sie Isabelle damit nicht in Verlegenheit bringen oder ärgern konnte, sprach sie plötzlich von Graf Zedwitz. Sie erzählte, dass sein Vater im Sterben liege und dass der Doktor sage, er werde allenfalls noch zwei Wochen leben, dass man seinen Sohn nach Hause gerufen habe … und dass sie Isabelle daher den Rat gebe, München nicht zu verlassen, um ihm die Möglichkeit zu geben, seinen Heiratsantrag zu wiederholen … sie dürfe vor allen Dingen auf keinen Fall nach Frankfurt gehen, denn wenn Graf Zedwitz erfahre, dass sie eine Stelle als Gouvernante angenommen habe, käme sie für ihn womöglich nicht mehr als zukünftige Frau in Frage.“
„Die arme Isabelle!“, sagte Hamilton. „War sie sehr wütend?“
„Sie wurde sehr blass, aber zu meiner Überraschung wurde sie nicht zornig. Sie dankte Olivia für ihren guten Rat, auch wenn sie nicht die Absicht habe, auf sie zu hören. Sie sagte, sie halte es nicht für eine Schande, eine Gouvernante zu sein – eher für das Gegenteil, weil man eine solche Stelle nur bekomme, wenn man besondere Kenntnisse und eine umfassende Bildung besitze. Und die Meinung des Grafen Zedwitz zu diesem Thema sei ihr im Moment vollkommen gleichgültig … Darauf ging sie aus dem Zimmer und kam erst wieder zurück, als Olivia gegangen war.“
„Aber wie kommen Sie darauf, dass sie Zedwitz liebt?“, fragte Hamilton erstaunt. „Ihre Reaktion spricht keineswegs dafür.“
„Sie haben noch nicht alles gehört“, antwortete Sophie. „Als Olivia weg war, habe ich sie ebenfalls gebeten, nicht diese Stellung anzutreten – aber Sie wissen ja, dass Isabelle nie auf mich hören würde, schon gar nicht in wichtigen Dingen. Als sie sich weigerte, habe ich sie flüsternd gefragt, ob sie glaube, dass Graf Zedwitz sie immer noch liebe … Und sie sagte: Ja, mehr als mich jemals ein Anderer geliebt hat oder lieben wird – mehr als ich es verdiene!
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