Die Versuchung
...“
„Aber Sie wissen, was ich meine?“
„Ich … glaube schon“, sagte Isabelle verlegen.
„Sagen Sie mir ehrlich, was Sie über mich gedacht haben.“
„Nun, ich dachte … nach all Ihren Beteuerungen Ihrer Zuneigung zu mir hätten Sie auch warten können, bis Sie wieder in England sind, ehe Sie eine Liebesaffäre beginnen.“
„Das heißt – Sie waren eifersüchtig?“
„Ja – nein – ich weiß es nicht ...“, stotterte sie. „Es hat mich eigentlich nur geärgert, dass Sie sich so auffällig benommen haben, damit ich auf keinen Fall übersehe, wie sehr Sie sich um Olivia bemühen.“
„Ich wollte in der Tat, dass Sie es bemerken“, sagte Hamilton. „Ich hoffte, Ihnen auf diese Weise irgendeine Gefühlsregung zu entlocken, damit ich weiß, ob ich Ihnen wenigstens ein bisschen mehr bedeute als ein Stück Holz.“
„Und Sie haben sich ausgerechnet Olivia Berger anvertraut?“
„Ich habe ihr gar nichts anvertraut. Ich habe nie ein Geheimnis aus meinen Gefühlen für Sie gemacht.“
„Sie wollten also wirklich, dass ich meine Gefühle für Sie oder was Sie dafür halten, öffentlich zur Schau stelle? So benimmt sich kein Gentleman. Hätte ich Ihnen den Gefallen getan, wäre es für Sie nur ein billiger Triumph gewesen. Nein, ich muss Sie enttäuschen: Ich war weder eifersüchtig noch beleidigt. Wir sollten die ganze Sache einfach vergessen.“
„Sie sind aber doch hoffentlich davon überzeugt, dass mir Madame Berger völlig gleichgültig ist.“
„Sie ist Ihnen ebenso gleichgültig wie umgekehrt Sie Madame Berger gleichgültig sind. Sie schmeicheln einander und bestätigen sich in Ihrer Eitelkeit, mehr nicht.“
„Und es stört sie, wenn Sie uns so zusammen sehen?“
„Nein, überhaupt nicht“, sagte sie kühl.
„Gut, ich glaube Ihnen! Sie haben mich davon überzeugt, dass Sie für mich nicht mehr empfinden als Sympathie und Freundschaft und ich werde Sie nicht weiter auf die Probe stellen, versprochen. Es tut mir leid, Ihnen etwas vorgespielt zu haben, aber … vielleicht war es wichtig für mich, Gewissheit zu haben“, sagte Hamilton.
Er nickte ihr zu und zog die Tür hinter sich geräuschlos ins Schloss. Isabelle nahm ein Buch zur Hand, aber die Buchstaben verschwammen vor ihren feuchten Augen.
22
Etwa zwei Wochen später saß Hamilton mit einem Buch in der Laube am Ende des Gartens, als Isabelle mit einem großen Packen Briefe zu ihm kam, den Johann soeben aus München gebracht hatte. Er nahm die Briefe und überflog kurz die Absender: „Meine Schwester Helen – mein Vater – John – und Onkel Jonathan! Das kann kein Zufall sein. Gehen Sie nicht, Isabelle, bleiben Sie. Vielleicht brauche ich Ihren Rat.“
Sie setzte sich auf die Bank vor der Laube, schloss die Augen und spürte, wie ihr Herz schlug. Wie aus weiter Ferne hörte sie durch das offene Küchenfenster den unmelodischen Gesang der Magd, die gerade das Geschirr scheuerte. Sie dachte weder an die Vergangenheit noch an die Zukunft. Sie dachte an nichts. Schließlich setzte sich Hamilton mit seinen Briefen neben sie und sie wartete, dass er etwas sagen würde.
Schließlich sagte er: „In den Briefen steht das, was ich erwartet habe. Ich soll nach England zurückkehren. Was sonst nach darin steht – ist nicht weiter von Belang.“
Er schwieg und spielte nervös mit den Briefumschlägen. Wie könnte er Isabelle erklären, dass sein Onkel ihm anbot, ihm eine größere Geldsumme zu schicken, um eventuelle Ansprüche zu befriedigen, die Isabelle oder ihre Familie gegen ihn haben könnten.
„Wahrscheinlich erwartet man, dass Sie sofort nach England reisen“, sagte Isabelle.
„Nein. Man wünscht, dass ich vorher die Zanders besuche. Ich werde in zwei oder drei Wochen nach Hause zurückkehren.“
„Auf jeden Fall werden Sie uns sehr bald verlassen müssen.“
„Ja, Sie haben recht. Ich kann den Gedanken daran kaum ertragen, aber … ich werde morgen abreisen.“
Er wartete auf ein Wort von ihr, aber sie schwieg. Und so nahm er seine Papiere, stand auf und ging langsam ins Haus. Madame Rosenberg trug seine Ankündigung mit Fassung und bestand darauf, seine Koffer selbst zu packen. Sie befragte ihn zu seinen genauen Reiseplänen und sagte dann: „So leid es mir tut, Sie zu verlieren, aber Ihre Verwandten haben ganz sicher recht, auf Ihrer Rückkehr zu bestehen. Selbst mein Vater hat schon gesagt, dass es ihm völlig unbegreiflich sei, dass man einen jungen Mann mit Ihren Fähigkeiten seine Zeit
Weitere Kostenlose Bücher