Die Versuchung
tun?“
„Nun, weil ...“
„Weil sie schön ist und ich hässlich, wollten Sie wohl sagen. Und deshalb glauben Sie, dass ich keine Aussicht auf Erfolg habe?“
„Das ist es nicht, was ich sagen wollte. Aber bei aller äußerlichen Ähnlichkeit sind die beiden Schwestern ansonsten sehr verschieden.“
„Da haben Sie völlig recht. Während die eine nur dank ihrer Jugend anmutig und bezaubernd ist, ist die andere die Verkörperung vollkommener Weiblichkeit, fast eine Göttin.“
„Sie sind bis über beide Ohren verliebt“, stellte Hamilton trocken fest.
„Sie irren sich“, antwortete Zedwitz lächelnd. „Ich spreche nur als Künstler, der seine Mußestunden damit verbringt, Porträtskizzen anzufertigen.“
„Also hatten Sie vor, heute Abend eine Skizze von diesem göttergleichen Modell zu zeichnen? Und sie hat sich tatsächlich hier mit Ihnen verabredet?“
„Natürlich habe ich nicht zu ihr gesagt: 'Kommen Sie bitte heute Abend in den Kreuzgang, ich werde auf Sie warten.' Das wäre viel zu plump. Ich habe ihr erzählt, wie schön der Kreuzgang im Licht der untergehenden Sonne wirkt und dass ich die Absicht habe, ein kleines Aquarell zu malen, das diese Stimmung einfängt. Sie wusste also, wann ich da sein werde. Und wären Sie nicht dazwischengekommen, hätte sie sicher Lust gehabt, mir ein wenig zuzusehen.“
„Sie ist nur hierher gekommen, um mit mir zu sprechen“, behauptete Hamilton.
Der Graf sah ihn erstaunt an. „Sie kam wegen Ihnen?“
„Ja – allerdings nur, weil ihre Schwester sie darum gebeten hatte. Sie sollte mir etwas ausrichten. Als Sie dazukamen, befanden wir uns gerade mitten in einem Streitgespräch.“
„Worüber haben Sie gestritten?“
„Es ging um ihre Schwester. Sie forderte mich auf, zu erklären, welcher Art mein Interesse an Sophie sei und legte mir sogar nahe, ihr ebenfalls einen Heiratsantrag zu machen, damit sie die Wahl zwischen mir und Stutzenbacher habe. Als ich zu verstehen gab, dass ich das nicht vorhabe, sprach sie von Verachtung etc. Sie können sicher sein, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis sie auch von Ihnen einen Antrag einfordern wird. Warten Sie nur ab.“
„Das wäre für mich nun wirklich kein Malheur, ganz im Gegenteil.“
„Wollen Sie damit sagen, dass Sie ernsthaft daran denken, Isabelle zu heiraten?“
„Nichts lieber als das, ich wäre der glücklichste Mann der Welt! Aber dieses Glück wird mir nicht beschieden sein!“
„Sie befürchten, sie würde Ihren Antrag nicht annehmen?“
„Das weniger. Aber ich bin mir sicher, dass mein Vater die Heirat nicht erlauben würde.“
„Dann brennen Sie mit ihr durch und bitten ihn nachher um seine Einwilligung.“
„Ich wünschte, es wäre so einfach. Aber die Heirat ist nicht einfach ein formaler Akt, auch nicht ein rein kirchlicher. Sie haben keine Vorstellung davon, welche Feierlichkeiten und Zeremonien in Familien unseres Standes damit verbunden sind, damit eine Ehe überhaupt anerkannt wird. Zu all dem kommt hinzu, dass ich in der Armee bin und eine Kaution aufbringen müsste.“
„Eine Kaution – wofür?“
„Ein Offizier muss zwanzigtausend Gulden Kaution hinterlegen, damit er die Erlaubnis bekommt, zu heiraten. Das Geld ist zur Versorgung seiner Frau und seiner Kinder bestimmt, falls er früh stirbt. Fünftausend Gulden sind eine Menge Geld, und ich könnte sie natürlich nur dann aufbringen, wenn mein Vater den größten Teil der Summe übernimmt; Isabelle hat ja keinerlei Vermögen. Schon deshalb ist eine Heirat völlig unmöglich.“
„Sie sollten trotzdem mit Ihrem Vater sprechen.“
„Ich werde nichts dergleichen tun. Ich kann nicht einmal auf die Unterstützung meiner Mutter hoffen, weil sie die Verbindung auch nicht gutheißen würde. Vielleicht kann meine Schwester ein gutes Wort für mich einlegen, wenn sie demnächst mit dem Mann verheiratet ist, den meine Eltern für sie ausgewählt haben. Aber vorher müsste ich natürlich mit Isabelle sprechen.“
„Ich verstehe – zumindest halb. Möglicherweise sind Eheschließungen in Deutschland noch weitaus komplizierter als bei uns in England. Und auch die Bekanntschaft mit bayerischen Mädchen ist keineswegs ein reines Vergnügen.“ Nach einer kleinen Pause fuhr Hamilton fort: „Ich glaube, ich bin lange genug in Seeon gewesen, und wenn ich nicht Madame Rosenberg fest zugesagt hätte, würde ich wahrscheinlich nach Wien weiterreisen. Hätten Sie nicht Lust, mit mir zusammen eine Reise nach
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