Die Versuchung
können, worauf Madame Rosenberg die Hände rang und laut um Hilfe rief. Hamilton zögerte nicht lange und sprang ins Wasser. Glücklicherweise bekam er den Jungen rasch zu fassen und konnte ihn Zedwitz übergeben. Madame Rosenberg überhäufte den Retter mit Danksagungen und Segenswünschen. Nass wie er nun einmal war, wollte Hamilton nicht ins Boot zurückkehren; er legte die Entfernung zum Ufer schwimmend zurück, indem er sich von Zeit zu Zeit daran festhielt. An Land hörte er zu seiner Verwunderung, dass die Fischer, die sie gerudert hatten, auch nicht schwimmen konnten, obwohl sie ihr halbes Leben auf dem See verbracht hatten.
Franz wurde in einem Wirtshaus in eine Decke gewickelt. Hamilton blieb nichts anderes übrig, als seine nasse Kleidung im Hinterzimmer auszuziehen und das Angebot eines Einheimischen anzunehmen, der ihm einige Kleidungsstücke brachte. Natürlich passten ihm die Sachen überhaupt nicht. Die Hose war viel zu weit und um etliches zu kurz; sie bedeckte seine Waden, die in weißen Strickstrümpfen steckten, gerade einmal bis zur Hälfte. Ein grobes Hemd und eine viel zu weite Jacke vollendeten seinen originellen Aufzug. Sophie und Major Stutzenbacher brachen bei seinem Anblick in schallendes Gelächter aus und auch Madame Rosenberg unterdrückte nur mühsam ein Lächeln. Isabelle betrachtete ihn schweigend, ließ ihn in der Kutsche aber widerspruchslos neben sich sitzen und sprach auf der Rückfahrt beinahe mehr mit ihm als mit Zedwitz.
Die scheinbare Harmonie zwischen Isabelle und Hamilton hielt jedoch nicht lange an. Jedes ihrer Gespräche endete an den folgenden Tagen mit einem Disput und beiderseitiger Verstimmung. Isabelle liebte es offenbar, spitze Bemerkungen auf seine Kosten zu machen, wofür er sich seinerseits mit Spott oder Ironie revanchierte, was unweigerlich zu Feindseligkeiten von ihrer Seite führte. Es war nach einem dieser für ihn frustrierenden Wortwechsel, als er Sophie allein im Garten antraf. Sie saß auf einer Bank und ließ eifrig die Stricknadeln klappern, wobei sie ihre Finger und Ellenbogen mit bewundernswerter Schnelligkeit bewegte. Da sie in den letzten Tagen die beleidigte Leberwurst gespielt hatte, weil Hamilton sie nicht genügend beachtete, konnte er sie betrachten, so lange er wollte, ohne dass sie von ihrem Strickwerk aufsah. Nachdem er sich ein paarmal geräuspert hatte, wendete er sich schließlich ab. Sie sah auf – und seufzte. Das verstand er als Ermutigung, auch wenn ihr Blick vorwurfsvoll war. Er setzte sich neben sie und lobte ihre Fingerfertigkeit.
„Und wer ist der Glückliche, der diesen Strumpf einmal tragen wird?“, fragte er mit gespieltem Interesse.
„Das kann Ihnen wirklich völlig gleichgültig sein“, antwortete sie und seufzte wieder.
„Alles, was mit Ihnen zu tun hat, interessiert mich, seit dem Augenblick, als ich Sie zum ersten Mal Brathendl essen sah.“
„Dann haben Sie eine sonderbare Art, Ihr Interesse zu zeigen. Isabelle sagt, dass Sie mich überhaupt nicht ernst nehmen.“
„Wie meinen Sie das?“, fragte er mit gespielter Entrüstung, obwohl er natürlich ganz genau wusste, was sie meinte.
„Sie kümmern sich überhaupt nicht um mich. Sie sprechen nicht einmal mit mir.“
„Aber Mademoiselle, Sie haben mir doch selbst von Ihrer Verlobung erzählt.“
„Was hat das damit zu tun?“
„Es könnte falsch verstanden werden, wenn ich mit Ihnen spreche. Ich möchte Sie nicht in eine unangenehme Situation bringen.“
Sophie lächelte geschmeichelt und strickte noch schneller.
„Ist es hier nicht üblich, eine Verlobung fast ebenso ernst zu nehmen wie eine Heirat?“, fragte Hamilton.
„Das weiß ich nicht“, sagte sie in aller Unschuld, „ich bin zum ersten Mal verlobt. Allerdings – wir sind ja noch nicht offiziell verlobt. Wir verloben uns erst, wenn wir in München sind.“
„Sie meinen, bis dahin können Sie sich noch mit anderen Männern unterhalten?“
„Ja natürlich.“
„Sie meinen also, dass Major Stutzenbacher keinen Anlass hätte, auf mich eifersüchtig zu sein?“
„Eifersüchtig?“, fragte sie und wurde rot.
„Ich meine natürlich verärgert. Das wäre ja möglich. Aber wahrscheinlich hätte er dazu nicht den geringsten Anlass, Sie scheinen ja gar nicht mehr so unglücklich zu sein.“
„Was nützt es, unglücklich zu sein?“, fragte sie und seufzte. „Die Mama sagt, dass ich alt genug bin, um zu heiraten und dass nicht alle Tage ein Mann wie der Major um meine Hand
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