Die Versuchung
zu geben, die sicher nicht die Erste war – und es dann hinterher noch so zu erzählen, dass es komisch wirkt. Er mag vielleicht wirklich amüsant sein, aber er kann kein gutes Herz haben.“ Sie setzte sich neben ihre Schwester und flüsterte ihr zu: „Herr Hamilton würde sich nicht so benehmen.“
„Herr Hamilton ist wahrscheinlich in keiner Beziehung besser als andere Leute“, sagte Isabelle laut, ohne sich umzudrehen.
„Aber Isabelle – du hast doch erst gestern gesagt, dass du ihn bewunderst, weil er so viele gute Eigenschaften ...“
„Sophie!“, rief Isabelle und sprang vom Stuhl auf. „Tust du das mit Absicht, um mich zu reizen oder du bist wirklich ein solches Schaf? Wie kannst du so etwas sagen!“
„Aber Isabelle – du hast es doch selbst gesagt.“
„Ich werde dir in Zukunft nur noch Dinge erzählen, die die ganze Welt erfahren soll. Alles, was ich dir im Vertrauen sage, verstehst du falsch und verdrehst es.“
„Du hast recht“, rief Sophie mit Tränen in den Augen, „ich hätte nicht in Herrn Hamiltons Gegenwart wiederholen dürfen, was du gesagt hast. Er könnte am Ende denken, du hättest dich in ihn verliebt, so wie ich … Ich meine, er könnte sich einbilden ...“
„Gütiger Himmel, kannst du nicht einfach den Mund halten?“, rief Isabelle wütend. „Herr Hamilton kann sich einbilden, was er will, aber ich habe ihn am Anfang unserer Bekanntschaft nicht leiden können, und auch wenn ich eine Zeitlang anders über ihn gedacht habe, bin ich jetzt wieder zu meiner anfänglichen Meinung zurückgekehrt. Er ist in keiner Hinsicht besser als Andere.“
„Ich hoffe doch, dass Sie sich irren“, sagte Hamilton ruhig und zündete sich seine Kerze an, um zu Bett zu gehen.
Sophie blickte unbehaglich auf ihre Schwester, die gerade antworten wollte, als Madame Rosenberg in der Tür erschien, um daran zu erinnern, dass es Zeit war, die Abendunterhaltung zu beenden. Hamilton ging schnell in sein Zimmer, holte sein Tagebuch hervor und begann, die Ereignisse des Tages aufzuschreiben. Er war wütend auf Isabelle, sehr wütend. Mehr denn je war er entschlossen, sich nicht in diese stolze, hochmütige Schönheit zu verlieben. Aber musste er deshalb Verzicht üben? Nur, weil er bis auf Weiteres nicht heiraten konnte? Was hinderte ihn daran, in Konkurrenz zu Graf Raimund zu treten? Nachdem er Sophie erklärt hatte, dass er nicht heiraten könne, wusste auch Isabelle in dieser Hinsicht Bescheid. Wenn sie Raimunds Verhalten billigte, konnte sie ihm jedenfalls keine Vorwürfe machen, wenn er seine Zurückhaltung aufgab. Er wollte versuchen, sie zu erobern. Warum sollte es ihm nicht gelingen – schließlich hatte Sophie vorhin in aller Naivität verraten, dass Isabelle ihn heimlich bewunderte. Und er zweifelte nicht daran, dass ihre Wutausbrüche und ihr Temperament Zeichen großer Leidenschaftlichkeit waren.
Ein Klopfen an der Tür schreckte ihn auf. „Ja bitte?“
Zu seiner Überraschung war es Isabelle, in der Hand eine fast herunter gebrannte Kerze.
„Sie sind sicher erstaunt, mich zu dieser Stunde zu sehen“, sagte sie.
„Keineswegs“, sagte Hamilton, „ich habe gerade an Sie gedacht – vermutlich war es eine Art Gedankenübertragung.“
„Nun, ich habe eher an Ihre Kerzen gedacht – Sie erinnern sich sicher noch daran, dass Sie mir angeboten haben, mir auszuhelfen, wenn ich zusätzliche Lichter brauche. Es wäre sehr freundlich ...“
Wortlos gab Hamilton ihr eine seiner Kerzen und überlegte, was er jetzt sagen sollte. Isabelle löschte ihre abgebrannte Kerze und wickelte sorgfältig ein Stück Papier um das Ende der neuen. „Sie waren vorhin sicher ziemlich wütend auf mich, auch wenn Sie es nicht gezeigt haben“, sagte sie dann. „Was ich auch verstehen kann. Ich weiß selbst nicht mehr, was eigentlich in mich gefahren ist. Ich möchte Sie um Verzeihung bitten.“
„Wenn Sie selbst Ihr Verhalten bedauern, müssen wir nicht weiter darüber reden“, sagte Hamilton leichthin. „Fehler sind ohnehin kein angenehmes Gesprächsthema. Lassen Sie uns stattdessen – zusammen eines meiner englischen Bücher lesen.“
„Gerne, morgen – nach der Stunde mit Herrn Biedermann.“
„Ich dachte nicht an morgen“, sagte Hamilton und deutete auf das Sofa. „Gerade jetzt wäre die richtige Zeit.“
„Es ist wirklich zu spät ...“
„Nach ihren Worten von heute Abend hätte ich erwartet, dass Ihnen das gar nichts ausmacht.“
„Nach meinen Worten von heute
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