Die Versuchung
habe gehört, dass er … nun ja … ähm … sehr ...“
„Sehr was?“, fragte Madame Rosenberg.
„Sehr zügellos – also dass er ein echter Draufgänger ist“, vollendete der Major seinen Satz.
„Dann sollte ich wohl dafür sorgen, dass sein Besuch morgen sein erster und letzter ist. Sagen Sie mir alles, was Sie über ihn wissen.“
„Ich habe mehr gehört, als ich Ihnen erzählen kann. Diese Dinge sind kein geeignetes Gesprächsthema für junge Damen.“
Sophie errötete, Isabelle verzog den Mund zu einem ironischen Lächeln, als die beiden sich in das angrenzende Zimmer zurückzogen.
„Es ist zu befürchten, dass Major Stutzenbacher versucht, sich wichtig zu machen“, sagte Isabelle.
„Er spricht als Freund der Familie“, sagte Hamilton ernst.
„Woher wissen Sie das?“
„Vielleicht habe ich über Graf Raimund auch einiges gehört.“
„Nun, vielleicht haben Sie etwas gehört“, sagte Isabelle. „Aber worauf wird es hinauslaufen? Auf Schwächen, Fehler, die jeder junge Mann einmal begeht, wie er heute Abend selbst gesagt hat. Haben Sie selbst nie einen Fehler gemacht, so dass Sie sich berechtigt fühlen, über ihn zu urteilen?“
Hamilton wurde rot und schwieg.
Isabelle fuhr fort: „Wir haben nur sehr wenige Verwandte. Philipp ist unser einziger Cousin. Er benimmt sich mir gegenüber kein bisschen arrogant oder überheblich. Er ist ungemein klug und geistreich. Er hat viel gelesen, er spricht perfekt Französisch, er spielt sogar Klavier. Er braucht nicht einmal Noten. Und er hat uns vorgelesen – also Fräulein Hoffmann und mir, auf eine Weise, die uns beide sehr berührt hat. Es war wundervoll.“
„Was hat er gelesen?“, fragte Sophie.
„Heines Gedichte“, antwortete Isabelle.
In diesem Moment kamen Madame Rosenberg und der Major zurück. Sie sagte mit ernster Miene: „Ihr dürft nicht glauben, dass es etwas mit meiner Abneigung gegen die Familie tun hat, wenn ich Graf Raimund morgen unser Haus verbiete. Er ist kein Umgang für unverheiratete junge Mädchen – er hat bereits Schande über zwei achtbare Familien gebracht, und sein letztes Meisterstück war, die Frau eines guten Freundes zu verführen und mit ihr durchzubrennen.“
Der Major wünschte allen eine Gute Nacht, und Frau Rosenberg begleitete ihn zur Tür.
Sophie sagte erschrocken zu ihrer Schwester: „Oh Isabelle, wenn das wahr ist!“
„Es ist wahr.“
„Aber, du – du hast doch eben so gut über ihn gesprochen ...“
„Ja, das habe ich, und doch ist es wahr. Er will jedoch von jetzt an ein völlig neues Leben führen und hat deshalb heute Abend Caroline von Hoffmann und mir ehrlich alle seine Missetaten gebeichtet. Er hat sich wirklich nicht geschont, das kann ich dir verraten.“
„Seine Beichte muss für zwei junge unverheiratete Damen sehr unterhaltsam gewesen sein“, bemerkte Hamilton ironisch.
„Sie war sehr amüsant“, antwortete Isabelle unbeeindruckt. „Er ist ein guter Erzähler, er beschrieb komische Situationen und hat Fräulein Hoffmann mit solchem Nachdruck gebeten, ihm seine Fehltritte zu verzeihen, dass sie gar nicht anders konnte, als ihm zu vergeben. Ja, sie musste zugeben, dass andere vielleicht dieselben Fehler gemacht hätten, wenn sie denselben Versuchungen ausgesetzt gewesen wären. Die jungen Damen wollten sich unbedingt mit ihm allein treffen, und Frau von Falkenstein hat selbst den Vorschlag gemacht, mit ihm durchzubrennen.“
„Er hat ihnen das alles erzählt und auch noch die Namen genannt?“
„Ja, das hat er – kein Buch hätte amüsanter sein können als sein Bericht. Seine erste Liebe war die Tochter des Hauptmanns Walden – es waren vier Töchter im Haus und alle verliebten sich gleichzeitig in ihn – die Jüngste war bei Weitem die Hübscheste und so ...“
„Verzeihen Sie, dass ich Sie unterbreche“, rief Hamilton, „aber ich kann es nicht ertragen, Sie auf diese Weise über diese Dinge sprechen zu hören. Was hat dieser Graf Raimund angestellt, um Sie innerhalb eines Tages derart zu verändern? Ich dachte, Sie haben ganz hohe Prinzipien, was Ehre und Moral angeht. Wie kann es sein, dass Sie das Benehmen von Raimund billigen und noch beschönigen, indem Sie die Schuld für seine Fehltritte den Frauen zuschieben, die unerfahren oder dumm genug waren, auf ihn hereinzufallen?“
Isabelle wurde rot und wandte sich ab.
„Herr Hamilton hat recht“, rief Sophie. „Es ist nicht ehrenhaft von Graf Raimund, der Tochter dieses Hauptmanns die Schuld
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