Die Versuchung
Stubenvoll-Bräu zu gehen. Wir werden dort zu Abend essen.“
„In der Brauerei?“
„Ja. Der Major sagt, dass das Bier dort ausgezeichnet ist und der Gänsebraten ganz vorzüglich. Mein Mann liebt Gänsebraten.“
„Was für ein Spaß!“, rief Gustav und tanzte im Zimmer umher. „Die Mama hat mir versprochen, mich mitzunehmen. Und Franz ist heute beim Großpapa, ätsch!“
„Ich will auch mitkommen!“, rief Peppi.
„Du bist noch zu klein“, antwortete sein Bruder.
„Nein, bin ich nicht, bin ich nicht!“, schrie Peppi.
„Was ist los?“, rief Madame Rosenberg.
„Peppi will mitkommen“, sagte Sophie. „Ich werde mich um ihn kümmern, wenn du nichts dagegen hast, Mama.“
„Du wirst ihn wahrscheinlich nach Hause tragen müssen“, sagte ihre Mutter lächelnd.
Madame Rosenberg brauchte stets am längsten, um sich anzukleiden. Hamilton traf im Gang auf Sophie, die ihm geheimnisvolle Zeichen machte. Er trat näher und fragte leise: „Was ist mit Ihnen?“
„Isabelle ist unten bei den Hoffmanns, um mit Graf Raimund zu sprechen. Gehen Sie – holen Sie sie, ehe die Mama kommt.“
Hamilton stieg hinab bis in den ersten Stock und bedauerte in diesem Moment, dass er Hoffmanns noch keinen offiziellen Besuch abgestattet hatte, denn so konnte er nicht einfach eintreten, sondern musste einen Diener hinein schicken mit der Nachricht, Mademoiselle Rosenberg möge sofort nach oben kommen. Er konnte Isabelle leise sprechen hören. Sie wurde von ihrem Cousin zur Tür begleitet, der französisch sprach, um vom Diener nicht verstanden zu werden: „Adieu, ma belle Isabelle. Deine Stiefmutter kann mir ihr Haus verbieten, aber sie kann nichts daran ändern, dass du meine Cousine bist. Ich werde dich noch oft hier sehen, versprich mir das.“
Isabelle wollte gerade antworten, als sie Hamilton bemerkte. Die beiden Männer verbeugten sich stolz und förmlich voreinander, als hätten sie sich nie gesehen.
„Ich werde dich wohl bis an die Tür begleiten können, Isabelle, selbst wenn sie mir verschlossen bleibt“, sagte Raimund.
„Das ist nicht nötig“, sagte sie, indem sie die Treppe hinauf eilte.
Raimund folgte ihr jedoch, nahm ihre Hand und küsste sie mit einer Mischung aus Ehrerbietung und Bewunderung.
Hamilton wartete, bis er außer Hörweite war, dann sagte er: „Dies ist wohl das übliche Benehmen zwischen Cousin und Cousine in Deutschland?“
„Sie sollten wissen, dass das Handküssen bei uns gar nichts weiter bedeutet und allmählich ziemlich aus der Mode kommt.“
„Aber es ist eine Mode, die mir durchaus zusagt. Ich habe noch nie die Hand einer Dame geküsst, weil man das in England nicht tut, aber ich hätte nichts dagegen, hier damit zu beginnen.“
Isabelle hielt ihm automatisch ihre rechte Hand hin, ohne weiter darüber nachzudenken.
„Nicht diese“, sagte Hamilton zögernd. „Da ist noch der Kuss ihres Cousins drauf.“
Sie lachte und ging ihm voraus ins Empfangszimmer, wo sie kurz vor ihrer Mutter ankam.
Auf dem Markt herrschte großes Gedränge. Belustigt stand Hamilton eine halbe Stunde neben Madame Rosenberg, die um den Preis von einigen Ellen Musselin feilschte. Die lautstarken Rufe der jüdischen Händler, die ihre Waren anpriesen, waren für Hamilton ebenfalls neu.
„Kommen Sie heran, meine Damen und Herren, beste Handschuhe, elegante Bänder, Scheren, Armbänder und Seifen. – Habe ich nichts, was ich Ihnen zeigen kann, Madame? Flanell, Merino oder Tuch für die jungen Herren? Der Winter steht vor der Tür, Madame. Ich habe bessere Preise als alle anderen, Madame.“
Als sie schließlich über den Hof der Brauerei gingen, sagte Isabelle leise zu Hamilton: „Ich bin ganz froh, dass nicht so viele Leute hier sind. Auch wenn ich sehr gerne in einen Biergarten gehe, denke ich doch, dass es ziemlich vulgär ist, in einer Brauerei zu Abend zu essen. Es wundert mich, dass Sie mit uns kommen.“
„Ich sehe mir gern alles an, besonders in einem fremden Land.“
„Ich denke, da die Abendluft kühl ist, setzen wir uns am besten in den kleinen Raum am Ende des Gartens“, sagte Madame Rosenberg, die nicht gehört hatte, worüber sie sprachen. „Weißt du noch, Franz, wie wir am Abend vor unserer Hochzeit mit meinem Vater hier waren und Schweinskotelett und Sauerkraut gegessen haben?“
Rosenberg gestand, dass er die Koteletts vergessen habe, was aber sicher daran liege, dass er an diesem Tag an andere Dinge gedacht habe.
„Das mag sein“, erwiderte seine Frau.
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