Die Versuchung
floh regelrecht aus dem Salon und schloss sich in ihrem Zimmer ein. Er wartete einige Minuten, dann klopfte er, erhielt aber keine Antwort.
„Isabelle“, rief er, „selbst wenn Sie mich nicht leiden können, darf ich doch wohl wenigstens eine Antwort erwarten.“
„Gehen Sie!“, rief sie. „Gehen Sie! Sie sollten nicht hier sein, wenn ich alleine bin.“
„Warum ist Ihnen das nicht eher eingefallen?“
„Ich weiß es nicht, ich kam nicht dazu, ich ...“
„Unsinn! Öffnen Sie die Tür, nur einen Augenblick.“
„Ich kann nicht, wirklich nicht! Bitte gehen Sie!“
Er ging langsam in sein Zimmer, wobei ihm bewusst wurde, dass er dabei war, sich lächerlich zu machen. Es war unwahrscheinlich, dass Isabelle für ihn überhaupt nichts empfand, aber sie war klug genug, um zu wissen, dass jedes Geständnis ihrerseits die Situation komplizieren und ihn zu sehr ermutigen würde. Er war wütend auf sich selbst – hatte er sich nach den verhängnisvollen, unbedachten Worten zu Sophie nicht geschworen, in Zukunft vorsichtiger zu sein und den Mund zu halten? Isabelle wusste, wann sie zu schweigen hatte.
In diesem Moment klingelte es an der Eingangstür, kurz darauf klopfte es. Nichts rührte sich. Darauf wurde die Klingel erneut betätigt, das Klopfen wurde lauter und jemand rief Isabelles Namen.
„Es wird der Papa sein“, rief sie, lief hastig zur Tür und öffnete. Es war Graf Raimund, der über das erschrockene Gesicht seiner Cousine höchst amüsiert schien.
„Philipp, du kannst jetzt nicht bleiben“, sagte sie. „Die Mama ist nicht zuhause und ich ...“
„Ich weiß, ich weiß“, rief er, „ich habe sie alle im Englischen Garten gesehen, auch deinen Kavalier Hamilton, der wie ein Wilder umher galoppierte. Und gerade aus diesem Grund, liebste Cousine, bin ich jetzt hergekommen, weil ich dich einmal allein sehen wollte. Sieh mich nicht so erschrocken an, ich bin nur gekommen, um dich um Rat zu fragen.“
„Nicht jetzt, nicht jetzt!“, sagte sie mit einem verstohlenen Blick zum Ende des Flurs, wo sie Hamiltons Schatten erkennen konnte, der dort mit verschränkten Armen in der Tür seines Zimmers stand. „Ein andermal, Philipp!“
„Was für ein anderes Mal? Ich sehe dich keinen Augenblick allein, auch bei den Hoffmanns nicht. Wenn auch meine gute Caroline zu vernünftig ist, um mich mit Eifersucht zu quälen, so bewacht doch ihre Mutter jede Bewegung und fängt jeden Blick auf. Mitunter wünschte ich, die alte Dame wäre nicht nur taub, sondern auch blind, das wäre eine große Erleichterung.“
„Philipp!“
„Stell dir vor, dass ich dazu verdammt bin, in der Nähe solcher Augen zu leben, meine Liebe; ich habe wohl ein wenig Mitleid verdient.“
„Du bist sicher nicht zu bedauern, die Hoffmanns sind sehr liebenswürdig“, sagte Isabelle hastig. „Und jetzt bitte ich dich, zu gehen.“
„Bitte mich nicht darum! Bitte mich vielmehr in den Salon“, erwiderte er und ging dreist darauf zu.
„Wenn du dort hinein gehst, werde ich auf der Stelle bei Frau Hoffmann Zuflucht suchen“, sagte Isabelle warnend.
„Sei mir nicht böse, Liebste! Es ist mir völlig gleich, an welchem Ort ich bin, wenn ich dir nur ohne jede Rücksicht sagen kann, dass ich dich mehr liebe als je ein Cousin seine Cousine geliebt hat.“
„Es ist wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, über so etwas zu scherzen, Philipp.“
„Wirklich? Dann lass mich dir völlig ernsthaft sagen, dass ich dich bis zum Wahnsinn liebe.“
„Philipp, selbst im Scherz will ich keinen solchen Unsinn hören!“
„Ich scherze nicht!“
„Aber – du bist verlobt!“
„Und wenn schon. Meine Verlobung mit Caroline zu lösen, wäre eine Kleinigkeit. Ich würde es ohne zu zögern tun, wenn ich dadurch dich gewinnen würde.“
„Das Einzige, was du dadurch gewinnen würdest, wäre ein schlechter Ruf“, sagte Isabelle ruhig.
„Isabelle!“, rief er heftig, „spiele mir nicht eine Kälte vor, die du nicht empfinden kannst. Treibe mich nicht zum Wahnsinn, meine Liebe verträgt keinen Scherz. Sie ist leidenschaftlich und ebenso verzweifelt wie meine Lage.“
Hamilton, der alles mitanhörte, war unschlüssig was er tun sollte – er konnte in den Gang treten, um die Szene zu beenden, er konnte auch ohne Weiteres das Haus durch den Hintereingang verlassen. Er entschied sich dafür, in sein Zimmer zu gehen, die Tür zu schließen und etwa eine halbe Stunde lang unruhig auf und ab zu gehen. Schließlich glaubte er, einen
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