Die Versuchung
Platz am Tisch ein und schlürfte langsam und mit Widerstreben einige Löffel Suppe. Hamilton erzählte Madame Rosenberg, dass er Zedwitz versprochen habe, ihn am nächsten Morgen nach Edelhof zu begleiten, um an der Trauung seiner Schwester teilzunehmen, und bat darum, ihm sein Frühstück früher als sonst zu bereiten.
„Und Sie werden ganze zwei Wochen fortbleiben? Wir werden Sie sehr vermissen!“, rief Frau Rosenberg.
„Es ist sehr gütig von Ihnen, das zu sagen.“
„Ich meine es so, wie ich es sage. Ich schätze Sie noch mehr als die beiden anderen Engländer, die vor Ihnen in meinem Hause gewohnt haben, auch mehr als Mister Smith, obwohl er mir sehr oft gesagt hat, dass er auch ohne von vor seinem Namen von Adel sei und dass er hier Kammerherr werden könnte, wenn er wollte, weil er mit dem Herzog von Braunschweig verwandt sei – ehrlich gesagt, bin ich mir nicht sicher, ob alles stimmt, was er erzählt hat, denn er hat ziemlich viel geredet. Ich habe mir auch seinen vollen Namen nie merken können, aber ich habe sicher noch seine Visitenkarte in meinem Kästchen.“
Wenig später brachte sie eine Karte zum Vorschein, auf der der Name „Howard Seymour Scott Smith“ stand.
„Er hat mir einmal gesagt, dass der letzte Name dort eigentlich nicht stehen müsste, da sein wirklicher Name Scott sei.“
„Vielleicht hat er mit dem Namen Smith ein Vermögen geerbt?“
„Nein, er sagte etwas davon, dass ein Trauschein verloren gegangen sei ...“
Hamilton lachte.
„Glauben Sie das nicht?“, fragte Madame Rosenberg.
„Oh, gut möglich.“
„Er sagte uns auch, dass sich die Leute in Schottland einfach so verheiraten können, ohne Geburts- und Taufschein, sogar ohne Zustimmung ihrer Familie. Was für eine Versuchung für leichtsinnige junge Leute!“
„Ich habe davon gehört“, antwortete Hamilton. „Ein Großonkel von mir hat eine solche Ehe geschlossen und sie erwies sich als sehr glücklich. Einige Verwandten boten ihren ganzen Einfluss auf, um ihn nach Indien zu schicken, wo er ein großes Vermögen erworben hat. Ich wäre jetzt nicht hier, wenn Onkel Jonathan nicht davon überzeugt wäre, dass Reisen die beste Ausbildung für einen jungen Mann sind und dass ich nur in Deutschland wirklich perfekt Deutsch lernen könne.“
Kurz darauf entschuldigte sich Madame Rosenberg, um nach den Knaben zu sehen. Hamilton beugte sich über seinen Teller mit Salat und ärgerte sich darüber, dass es ihm nicht gelang, ruhig und gleichmütig zu bleiben. Nach einigen Minuten völliger Stille sagte Isabelle mit leiser Stimme und ohne aufzublicken: „Was müssen Sie von mir denken?“
„Was ich von Ihnen denke?“, sagte Hamilton mit gespielter Ruhe. „Nun, ich denke, dass Sie … sehr schön sind.“
„Meine Frage war ernst gemeint.“
„Was hatten Sie als Antwort erwartet? Vielleicht etwas von Verzweiflung und Dramatik?“
„Was heute passiert ist, ist kein Anlass für Scherze“, sagte sie ernst.
„Das hätte ich vor ein paar Stunden auch gesagt“, erwiderte Hamilton. „Doch inzwischen kommt mir die ganze Geschichte wie ein Theaterstück vor. Aber vielleicht hatte Ihr Cousin das Recht, so mit Ihnen zu sprechen, denn immerhin haben Sie ihm ohne jedes Widerstreben zugehört und ...“
„Sie wissen, dass das nicht stimmt. Und ich bin bereit, Ihnen jedes Wort unseres Gesprächs zu wiederholen.“
„Das ist nicht nötig“, sagte Hamilton kühl, „ich habe genug gehört, um mir den Rest vorstellen zu können.“
„Ich weiß nicht, was Sie gehört haben ...“
„Ich habe eine eindeutige Liebeserklärung gehört und den Vorschlag, jede unsittliche Handlung zu begehen, die Sie beeindrucken und dazu bringen könnte, ihn zu erhören. Ich kam nur aus meinem Zimmer, weil ich einen Schrei gehört hatte und mir einbildete, sie brauchten vielleicht meine Hilfe. Als ich sie sah, bemerkte ich meinen Irrtum und ging in mein Zimmer zurück.“
„Dann haben Sie also nicht den – den Dolch gesehen?“
„Welchen Dolch?“, fragte Hamilton erstaunt.
„Philipps Dolch – er drohte damit, sich zu erstechen.“
Hamilton lachte spöttisch. „Ich hätte nicht gedacht, dass er ein solcher Schauspieler ist. Was für eine absurde Inszenierung.“
„Sie glauben nicht, dass es ihm ernst war?“
„Natürlich nicht. Er hat den Dolch mitgebracht, um Sie zu beeindrucken. Offenbar hat er schauspielerisches Talent – aber wahrscheinlich taugt es mehr für ein Lustspiel als für ein Drama.“
„Es war
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