Die Versuchung
»Nein, er hat die Lizenz als Bauunternehmer erst bekommen, nachdem er hierhergezogen war.«
»Dann hat er in Washington seine Lehr- oder Gesellenjahre gemacht?«
»Ich glaube, er besaß eine natürliche Begabung für diesen Beruf. Er ist ein erstklassiger Zimmermann und Schreiner. Hat zwei Jahre bei Ralph Steed gearbeitet, einem der besten Leute, die wir in dieser Branche hatten. Ralph ist vor etwa drei Jahren gestorben, und Riggs gründete sein eigenes Unternehmen. Und hatte Erfolg. Er arbeitet hart. Und ein Auftrag wie dieser Zaun ist ja auch nicht übel.«
»Stimmt. Demnach ist Riggs eines Tages hier aufgetaucht und hat was ganz Neues angefangen? Alle Achtung. Dazu gehört viel Mut. Ich habe ihn mal kennengelernt. Er machte nicht den Eindruck, als wäre er in der Branche groß geworden, in der er jetzt arbeitet.«
»Ist er auch nicht.« Pemberton ließ den Blick durch den kleinen Speisesaal schweifen. Dann fuhr er mit gedämpfter Stimme fort: »Sie sind nicht der erste, der sich für Riggs’ Vorleben interessiert.«
Charlie beugte sich verschwörerisch vor. »Tatsächlich? Was ist denn mit ihm?« Er bemühte sich, seiner Stimme einen neugierigen, aber beiläufigen Beiklang zu verleihen.
»Na ja, Gerüchte kommen und gehen. Sie wissen ja, wie fragwürdig der Wahrheitsgehalt von Klatsch und Tratsch ist. Gleichwohl habe ich aus verschiedenen Quellen erfahren, daß Riggs eine wichtige Stellung in Washington innehatte.« Pemberton legte eine wirkungsvolle Pause ein. »Beim Geheimdienst.«
Hinter Charlies steinerner Maske tobte es. Er kämpfte eine plötzliche Übelkeit und das heftige Verlangen nieder, sein Frühstück wieder auszuspucken. LuAnn hatte zwar das große Glück gehabt, eine derjenigen zu sein, die von Jacksons Lotterie-Manipulation profitierten, aber es konnte gut sein, daß sie diesmal ebensogroßes Pech hatte. »Beim Geheimdienst, sagen Sie? War er Spion oder so etwas?«
Pemberton hob die Hände. »Wer weiß. Bei solchen Leuten gehören Geheimnisse zum Leben. Selbst unter der Folter sagen die nichts. Die würden eher sterben. Wahrscheinlich würden sie auf eine Zyanidkapsel beißen oder so was, bevor sie irgend etwas preisgeben.« Offensichtlich genoß Pemberton einen Hauch von Dramatik, gemischt mit Elementen der Gefahr und der Intrige, besonders aus sicherer Distanz.
Charlie rieb sich das linke Knie. »Ich habe gehört, er sei Bulle gewesen.«
»Wer hat Ihnen das erzählt?«
»Ich kann mich nicht erinnern. Ich hab’s irgendwo im Vorbeigehen aufgeschnappt.«
»Nun ja, wenn Riggs Polizist war, kann man das leicht nachprüfen. War er aber Spion, gäbe es keinerlei Unterlagen, nicht wahr?«
»Dann hat er also nie über seine Vergangenheit gesprochen?«
»Nur sehr vage. Das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, daß irgend jemand erzählt hat, Riggs sei Polizist gewesen. Die Leute schnappen irgendwelche Brocken auf und stricken sich dann ihre eigene Geschichte.«
»Also wirklich, das ist ja ein starkes Stück.« Charlie lehnte sich zurück und bemühte sich krampfhaft, einen ruhigen Eindruck zu vermitteln.
»Aber trotz allem, vom Bauen versteht er was. Er wird Ihnen gute Arbeit liefern.« Pemberton lachte. »Ich hoffe nur, Riggs fängt nicht an, herumzuschnüffeln, falls er tatsächlich beim Geheimdienst gewesen ist. Wer einmal Spion war, legt seine Angewohnheiten nur schwer ab. Ich habe ein ziemlich unauffälliges und sauberes Leben geführt, aber wir alle haben Leichen im Keller, stimmt’s?«
Charlie räusperte sich, ehe er antwortete. »Manche mehr als andere.«
Wieder beugte er sich vor, die Hände auf dem Tisch gefaltet. Er mußte unbedingt das Thema wechseln und wußte auch schon wie. »John.« Seine Stimme war ganz leise. »John, ich möchte Sie um einen kleinen Gefallen bitten.«
Pembertons Lächeln wurde breiter. »Nur zu, Charlie. Betrachten Sie die Sache jetzt schon als erledigt.«
»Neulich kam ein Mann zu mir und hat um eine Spende für eine Wohlfahrtsorganisation gebeten, bei der er angeblich im Vorstand sitzt.«
Pemberton schaute ihn verblüfft an. »Wie hieß er?«
»Er war nicht von hier«, sagte Charlie schnell. »Er hat mir einen Namen genannt, aber ich bin nicht sicher, ob es der richtige war. Mir kam das alles sehr seltsam und undurchsichtig vor … Sie verstehen, was ich meine.«
»Absolut.«
»Jemand in Miss Savages Position muß vorsichtig sein. Es gibt viele schlechte Menschen auf der Welt.«
»Das brauchen Sie mir nicht zu sagen. Es ist wirklich
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