Die Versuchung
schwarzem, schmiedeeisernem Gitter auf der Mauerkrone stand, wie es in dieser Gegend viele gab. Er schloß das Tor auf und ging zur Villa. Mit Hilfe eines anderen Schlüssels öffnete er die Eingangstür aus massivem Holz, trat ein und zog den Mantel aus.
Sofort eilte die Haushälterin herbei und nahm ihm den nassen Mantel ab. Sie trug die traditionelle Kleidung eines Hausmädchens und redete mit einstudierter Höflichkeit.
»Ich sage der Misses, daß Sie da sind, Mr. Donovan.«
Er nickte kurz und ging an ihr vorbei in den Salon, um sich einen Moment vor dem lodernden Kaminfeuer aufzuwärmen. Dann schaute er sich zufrieden um.
Donovan war unter entschieden ärmlicheren Verhältnissen aufgewachsen als diesen hier, doch er konnte nicht verhehlen, daß es ihm hin und wieder Freude bereitete, in Luxus zu schwelgen – eine Ungereimtheit in seinem Leben, die ihm in der Jugend sehr zu schaffen gemacht hatte. Aber das hatte sich mit den Jahren gelegt. Manche Dinge werden besser, wenn man älter wird, sinnierte er. Auch die Schuld, die man auf sich geladen hat, legt man mit zunehmendem Alter ab, in Schichten, nach und nach, als würde man eine Zwiebel schälen.
Donovan hatte sich bereits an der Hausbar einen Drink gemixt, als die Frau im Salon erschien.
Sie kam schnell zu ihm und küßte ihn lange und ausgiebig. Donovans Knie berührten die der Frau, als sie sich dicht nebeneinander hinsetzten.
Alicia Crane war zierlich, Mitte Dreißig, mit langem Haar, das mit jedem Tag aschblonder wirkte. Ihr Kleid war teuer, und der Schmuck an Armen und Ohren war ebenso kostbar wie die Garderobe. Doch sie verkörperte unaufdringlichen Reichtum und Kultiviertheit. Ihre Züge waren fein, die Nase so klein, daß man sie unter dem strahlenden Leuchten der dunkelbraunen Augen kaum bemerkte. Sie entsprach zwar nicht dem traditionellen Schönheitsideal, doch der offensichtliche Reichtum und die Eleganz, die ihr anhafteten, verliehen ihr ein gewisses angenehmes Flair. An ihren besten Tagen konnte man sie als durchaus attraktiv bezeichnen.
Ihre Wange bebte leicht, als Donovan sie streichelte.
»Ich habe dich auch vermißt, Alicia. Sogar sehr.«
»Ich mag es nicht, wenn du fort bist.« Ihre Stimme war kultiviert, ihre Aussprache langsam und betont. Es war eine Stimme, die für eine so junge Frau zu steif und förmlich klang.
»Na ja, das gehört eben zu meinem Job.« Er lächelte sie an. »Aber du machst es mir viel schwerer, diesen Job zu tun.« Donovan fühlte sich ehrlich zu Alicia Crane hingezogen. Wenngleich sie nicht der hellste Stern in seinem Universum war, war sie doch ein guter Mensch, frei von jener Arroganz und den Zicken, welche ein Reichtum, wie Alicia ihn besaß, seinen Besitzern gewöhnlich verlieh.
Plötzlich starrte sie ihn an. »Warum, um alles in der Welt, hast du dir den Bart abrasiert?«
Donovan rieb sich über die glatte Haut am Kinn. »Öfter mal was Neues«, sagte er schnell. »Du weißt doch, daß auch Männer in die Wechseljahre kommen. Ich finde, ich sehe gut zehn Jahre jünger aus. Was meinst du?«
»Ich finde, ohne Bart siehst du genauso gut aus wie mit Bart. Ja, wirklich, du erinnerst mich ein bißchen an Vater. Als er jünger war, natürlich.«
»Danke, daß du einen alten Mann beschwindelst.« Er lächelte. »Aber es ist ein großes Lob, mit deinem Vater verglichen zu werden.«
»Ich kann Maggie Bescheid sagen, daß sie etwas zum Abendessen herrichtet. Du mußt halb verhungert sein.« Sie umfing mit beiden Händen seine Rechte.
»Danke, Alicia. Und hinterher vielleicht ein heißes Bad.«
»Natürlich. In dieser Jahreszeit ist der Regen bitterkalt.« Sie zögerte einen Moment. »Mußt du bald wieder fort? Ich hatte mir gedacht, wir könnten auf die Inseln fliegen. Um diese Zeit ist es dort wunderschön.«
»Das hört sich herrlich an, aber ich fürchte, es muß noch warten. Ich muß morgen wieder los.«
Die Enttäuschung stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Sie senkte den Blick. »Oh, ich verstehe.«
Donovan legte eine Hand unter ihr Kinn, hob sanft ihren Kopf und schaute ihr in die Augen. »Ich habe heute einen Durchbruch geschafft. Einen Durchbruch, an den ich gar nicht geglaubt hatte. Ich habe viel riskiert, aber wenn man Erfolg haben will, muß man mitunter Wagnisse eingehen.« Kurz dachte er an den Morgen zurück, an das Entsetzen, das er in LuAnn Tylers Augen gesehen hatte. »All das Herumschnüffeln, die ständige Ungewißheit, ob man etwas findet … das zehrt ganz schön an den
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