Die Versuchung
packte sie an der Schulter. »LuAnn, dieser Kerl ist ein Psychopath, aber er muß auch eine Art Genie sein. Das macht ihn noch gefährlicher. Wenn du ihn triffst, und der Kerl schöpft auch nur den leisesten Verdacht …«
Sie streichelte ihm sanft den Arm. »Tja, dann muß ich eben dafür sorgen, daß er keinen Verdacht schöpft.«
»Und wie willst du das anstellen? Inzwischen wird der Kerl längst schon mißtrauisch sein. Ich schlage vor, wir holen Verstärkung, stellen dem Burschen eine Falle und kassieren ihn ein.«
»Und ich? Was ist mit mir?«
Riggs schaute sie an. »Ich bin sicher, du kannst mit den Behörden irgendeinen Kompromiß aushandeln«, sagte er wenig überzeugend.
»Und die Leute in Georgia? Du hast Donovan gehört. Die wollen mich lynchen.«
»Das FBI könnte mit ihnen reden und …« Riggs hielt inne, als ihm plötzlich klar wurde, daß er bloße Vermutungen von sich gab. Garantien gab es nicht.
»Vielleicht kann ich mich mit den Behörden einigen. Ich gebe das Geld zurück. Vielleicht erstaunt es dich, aber das Geld ist mir völlig egal. Und vielleicht bekomme ich einen nachsichtigen Richter oder mehrere, und man läßt Gnade walten. Wenn man alles zusammen nimmt – mit wie vielen Jahren müßte ich rechnen? Zwanzig?«
»Vielleicht nicht so viele.«
»Wie viele dann?«
»Das kann ich dir nicht sagen. Ich weiß es nicht.«
»Ich wäre eine wirklich sympathische Angeklagte, was? Ich kann die Schlagzeilen jetzt schon lesen: LuAnn Tyler, Drogenhändlerin, Mörderin, Millionenbetrügerin und Steuerflüchtige, lebte wie eine Königin, während die Armen ihre Sozialhilfeschecks bei der Lotterie verspielen. Vielleicht verleiht man mir einen Preis, statt mich in eine Zelle zu sperren und den Schlüssel wegzuwerfen. Was meinst du?«
Riggs antwortete nicht. Er konnte ihr nicht einmal in die Augen blicken.
»Und angenommen, wir stellen Jackson eine Falle. Was ist, wenn es schiefgeht, und er entkommt? Und was ist, wenn wir ihn tatsächlich fassen? Glaubst du, er könnte mit all seinem Geld und seiner Macht die Anklage nicht abschmettern? Vielleicht bezahlt er jemanden, der für ihn auf Rachefeldzug geht und die alten Rechnungen begleicht. Was ist mein Leben dann noch wert? Und das meiner Tochter?«
Diesmal antwortete Riggs. »Nichts. Okay, ich verstehe, worauf du hinaus willst. Aber warum kannst du dem Kerl nicht telefonisch Bericht erstatten? Du brauchst ihn doch nicht persönlich zu treffen.«
LuAnn dachte kurz darüber nach. »Ich werd’s versuchen.« Mehr konnte sie nicht versprechen.
Sie stand auf und schaute auf Riggs hinunter. Sie sah wieder wie eine Zwanzigjährige aus, stark, entschlossen, zuversichtlich.
»Mir gehören zig Millionen Dollar, und ich bin fast überall auf der Welt gewesen. Trotzdem bin ich nicht das FBI , sondern immer noch ein dummes Landei aus Georgia. Aber du wärst erstaunt, wozu ich fähig bin, wenn ich mir etwas vornehme.« Auf LuAnns Gesicht war abzulesen, daß sie angestrengt nachdachte. »Und ich habe viel zu verlieren. Zu viel.« Ihre Augen schienen durch Riggs hindurchzublicken, als würde sie weit hinten auf der Straße irgend etwas sehen. Als sie sprach, war deutlich zu hören, daß ihre Herkunft tief in den Südstaaten wurzelte. »Und ich werde nicht verlieren.«
KAPITEL 44
George Masters starrte wie gebannt auf die Akte. Er saß in seinem Büro im Hoover Building in Washington. Masters war seit mehr als fünfundzwanzig Jahren beim FBI . Nun blickte er auf einen Namen, der ihm vor zehn Jahren sehr vertraut gewesen war: LuAnn Tyler.
Masters hatte bei den Ermittlungen des FBI nach der Flucht LuAnn Tylers aus den Vereinigten Staaten mitgearbeitet. Obwohl die Untersuchungen offiziell vor mehreren Jahren eingestellt worden waren, was vor allem an der Trägheit der Behörden lag, hatte Masters nie das Interesse an diesem Fall verloren – insbesondere der vielen Ungereimtheiten wegen. Und Ungereimtheiten lagen dem alten FBI -Hasen schwer im Magen.
Selbst nachdem Masters nach Washington versetzt worden war, hatte er den Fall im Hinterkopf behalten. Und nun waren kürzlich Ereignisse eingetreten, die sein Interesse wieder hatten auflodern lassen. Matthew Riggs hatte Erkundigungen über LuAnn Tyler eingezogen. Riggs lebte in Charlottesville, Virginia, wie Masters wußte. Er kannte Riggs sehr gut – besser gesagt, den Mann, der Riggs einst gewesen war. Wenn jemand wie Matthew Riggs sich für LuAnn Tyler interessierte, dann auch Masters.
Nachdem er und
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