Die Versuchung
richtige Entscheidung traf oder nicht. Sie konnte jetzt nicht mehr stillhalten; sie mußte irgend etwas tun.
Sie sprang auf, nahm die Autoschlüssel, schloß einen Stahlkasten auf, der im Schrank stand, und steckte die geladene, vernickelte 44er Magnum in die Handtasche. Dann lief sie die Treppe hinunter und in die Garage. Eine Minute später raste der BMW die Straße hinunter.
Riggs war im Zimmer über der Scheune, als er hörte, wie der Wagen die Auffahrt heraufkam und vor der Garage hielt. Er sah LuAnn durchs Fenster. Sie wollte zum Haus gehen, drehte sich dann aber plötzlich um, als würde sie seine Blicke spüren, und starrte zu ihm hinauf. Längere Zeit schauten sie sich an, als würden sie einander stumm ausloten. Kurz darauf saß LuAnn ihm gegenüber und wärmte sich die Hände am warmen Ofen.
Diesmal fühlte Riggs sich nicht gezwungen, seine Worte sorgsam abzuwägen.
»Die Ziehung war manipuliert, nicht wahr? Du hast gewußt, daß du gewinnst, stimmt’s?«
LuAnn fuhr hoch, stieß aber sofort einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus.
»Ja.« Sie hatte das Gefühl, als hätten sich mit diesem einen Wort die letzten zehn Jahre ihres Lebens plötzlich in Luft aufgelöst. Sie fühlte sich geläutert, gereinigt. »Wie bist du dahintergekommen?«
»Ich hatte ein bißchen Hilfe.«
LuAnn setzte sich starr auf; dann erhob sie sich. Hatte sie soeben den größten Fehler ihres Lebens begangen?
Riggs spürte ihren plötzlichen Stimmungswechsel und hob die Hand. So ruhig er konnte, sagte er: »Niemand weiß Bescheid. Ich wußte es ja selbst nicht. Ich habe mir Informationen aus verschiedenen Quellen besorgt und dann einen Schuß ins Blaue riskiert.« Er zögerte, fügte dann jedoch hinzu: »Außerdem habe ich eine Wanze in deinem Wagen versteckt. Ich habe dein Gespräch mit Donovan von Anfang bis Ende mitgehört.«
»Wer, zum Teufel, bist du?« zischte LuAnn. Vorsichtig griff sie nach dem Schloß der Handtasche, in der ihre Waffe steckte, während sie Riggs scharf im Auge behielt.
Riggs saß gelassen da und erwiderte ihren Blick. »Ich bin dir in vieler Hinsicht sehr ähnlich«, lautete seine verblüffende Antwort. Bei diesen Worten erstarrte LuAnn. Riggs stand auf, schob die Hände in die Taschen, lehnte sich an einen Bücherschrank und betrachtete durchs Fenster die Bäume, die sich sanft im Wind wiegten. »Meine Vergangenheit ist geheim, und mein jetziges Leben ist nichts als Lüge.« Er schaute sie an. »Aber aus gutem Grund.« Er zog die Brauen hoch. »Wie bei dir.«
LuAnn bebte. Die Knie wurden ihr weich, und sie setzte sich rasch auf den Fußboden. Riggs kniete sich neben sie und nahm ihre Hand in die seine. »Wir haben nicht viel Zeit, deshalb will ich dir reinen Wein einschenken. Ich habe einige Nachforschungen über dich angestellt … diskret, aber es wird trotzdem Kreise ziehen.« Er schaute sie beschwörend an. »Willst du die Geschichte wirklich hören?«
LuAnn schluckte und nickte. Die Angst verschwand aus ihren Augen und machte einer unerklärlichen Ruhe Platz.
»Das FBI hat sich für dich interessiert, seit du aus den Vereinigten Staaten geflüchtet bist. Der Fall hat einige Zeit geruht, aber das wird nicht so bleiben. Sie wissen, daß irgendwas mit dir nicht stimmt und daß du das Geld vielleicht auf irgendeine krumme Tour gewonnen hast. Aber sie wissen nichts Genaues und konnten dir deshalb nichts nachweisen.«
»Du hast eine Wanze in meinem Wagen versteckt, sagst du? Dann weißt du, wie Donovan dahintergekommen ist, nicht wahr?«
Riggs nickte und half ihr auf. Beide nahmen auf der Couch Platz. »Donovan hat sich die Pleitenstatistik angeschaut. Ganz schön clever. Nicht mal das FBI ist bis jetzt auf diese Idee gekommen. Weißt du, wie die Lotterie manipuliert wurde?«
LuAnn schüttelte den Kopf.
»Steckt eine Gruppe dahinter? Eine Organisation? Donovan meinte, es wäre die Regierung. Ich hoffe bei Gott, daß das nicht stimmt. Andernfalls würde die Sache sehr kompliziert …«
»Nein, nicht die Regierung«, unterbrach LuAnn ihn. Ihre Stimme war jetzt klar und fest, obgleich eine Spur von Angst auf ihren Zügen lag – die Auswirkung der plötzlichen Enthüllung lang gehegter Geheimnisse. »Soweit ich weiß, ist es eine einzige Person.«
Riggs lehnte sich erstaunt zurück. »Eine Person? Das ist nicht möglich.«
»Er hatte Leute, die für ihn arbeiteten. Ich kenne mindestens zwei, aber ich bin ziemlich sicher, daß er der Boß war.« Das war die Untertreibung des Jahres.
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