Die Versuchung
gereist war, ehe sie gewußt hatte, daß sie in der Lotterie gewonnen hatte. War sie nur vor der Mordanklage geflohen und hatte rein zufällig New York als Versteck gewählt? Um dann – wieder rein zufällig – hundert Millionen Dollar zu gewinnen? Wenn ja, war sie der größte Glückspilz der Welt. George Masters glaubte nicht, daß jemand so viel Glück haben konnte.
Er zählte die einzelnen Punkte an den Fingern ab. Die Morde. Das Telefonat. Der Loskauf. Die Zugfahrt nach New York, ehe die Gewinnzahlen gezogen wurden. LuAnn gewinnt in der Lotterie. Sie streitet sich mit Romanello. Romanello stirbt. Und LuAnn Tyler, eine Zwanzigjährige aus der Provinz, mit dürftiger Schulbildung und einem kleinen Baby, schlüpft durch ein dichtes Fahndungsnetz und taucht erfolgreich unter.
Das alles kann sie unmöglich allein geschafft haben, überlegte Masters. Das alles war sorgfältig geplant worden, weit im voraus. Und das konnte nur eines bedeuten. Plötzlich packte Masters die Armlehnen seines Stuhls fester, als die Schlußfolgerung ihn wie ein Blitzschlag traf.
LuAnn Tyler hatte gewußt, daß sie in der Lotterie gewinnen würde.
Die Konsequenzen, die sich daraus ergaben, jagten dem hartgesottenen FBI -Agenten einen eiskalten Schauer über den Rücken. Er konnte nicht begreifen, daß er diese Möglichkeit nicht schon vor zehn Jahren gesehen hatte. Doch er mußte sich eingestehen, sie nie in Betracht gezogen zu haben. Er hatte nach einer Mordverdächtigen gesucht, nach nichts anderem. Masters’ einziger Trost war, daß er vor zehn Jahren noch nicht gewußt hatte, welche Rolle Romanello bei der Sache spielte.
Masters wußte, daß es schon im vorigen Jahrhundert viele Korruptionsfälle bei der staatlichen Lotterie gegeben hatte. Und an die Skandale bei den Spiel-Shows Ende der fünfziger Jahre konnte er sich noch erinnern. Aber diese Vorfälle waren lächerlich im Vergleich zu dem, was dem Land nun vielleicht bevorstand.
Möglicherweise hatte irgend jemand vor zehn Jahren die Lotterie der Vereinigten Staaten manipuliert. Mindestens einmal, vielleicht mehrmals. Der Gedanke an die möglichen Verzweigungen einer solchen Tat war erschreckend. Die Bundesregierung hatte die Einkünfte aus der staatlichen Lotterie bitter nötig, um eine Vielzahl von Projekten und Programmen zu finanzieren, die inzwischen politisch dermaßen zementiert waren, daß man sie unmöglich stoppen konnte. Doch wenn die Quelle dieser Gelder verseucht war? Wenn die amerikanische Bevölkerung davon erfuhr?
Bei diesem Gedanken wurde Masters der Mund trocken. Er nahm einen Schluck Wasser aus der Karaffe auf seinem Schreibtisch und schluckte ein paar Aspirin, um den Anfängen der Kopfschmerzen zu wehren, die mit Sicherheit kommen würden. Er riß sich zusammen und griff zum Telefon. »Verbinden Sie mich mit dem Direktor!«
Während er wartete, daß sein Anruf durchgestellt wurde, lehnte er sich im Stuhl zurück. Ihm war klar, daß diese Sache letztendlich bis ins Weiße Haus führen mußte. Doch es war ihm lieber, wenn der Direktor des FBI mit der Justizministerin sprach und die Ministerin dann den Präsidenten informierte. Falls Masters’ Schlußfolgerungen zutrafen, würde dies soviel Dreck aufwirbeln, daß am Ende alle bis zum Hals darin steckten.
KAPITEL 45
Jackson war zurück in seiner Suite und blickte wieder auf den Laptop. LuAnn hatte sich inzwischen mehrmals mit Riggs getroffen. Jackson würde ihr noch ein paar Stunden Zeit lassen, den Mann anzurufen. Trotzdem war er von LuAnn enttäuscht. Er hatte ihre Telefonleitung nicht angezapft – eine Nachlässigkeit, wie er jetzt einsehen mußte. Doch als er LuAnn seinen Besuch abgestattet hatte, war ihm diese Maßnahme als überflüssig erschienen. Dann aber hatte LuAnn ihn ziemlich überrascht, als sie Lisa so blitzschnell fortschickte. Der Mitarbeiter, den Jackson mit der Beschattung LuAnns beauftragt hatte, war gezwungen gewesen, Charlie und Lisa zu folgen. Deshalb hatte Jackson ohne ein wertvolles Augenpaar auskommen müssen. Und deshalb wußte er nicht, was LuAnn weiter unternommen und mit wem sie sich möglicherweise sonst noch getroffen hatte.
Er hatte erwogen, weitere Mitarbeiter herkommen zu lassen, damit alle strategisch wichtigen Punkte beschattet werden konnten, doch es könnte Verdacht erregen, wenn zu viele Fremde sich in der Stadt herumtrieben. Das wollte Jackson vermeiden, falls möglich. Besonders, da es einen Joker gab, bei dem er sich nicht sicher war: Matt Riggs. Er hatte
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