Die Versuchung
des Motels geredet und hatte erfahren, daß in der Nacht zuvor die Polizei verständigt worden war. Jemand hatte den Gast in Zimmer 112 angegriffen und schwer verletzt – so schwer, daß man einen Rettungshubschrauber gerufen hatte, um den Mann in eine Klinik zu fliegen. Doch der Überfallene konnte nicht Charlie gewesen sein; der Mann hatte einen anderen Namen angegeben. Aber das hieß gar nichts. Und der Geschäftsführer hatte kein Mädchen in Begleitung des Mannes gesehen.
»Bist du sicher, daß sie in Zimmer hundertzwölf waren?«
LuAnn wirbelte herum. »Natürlich bin ich sicher!«
Sie schloß die Augen, blieb stehen und wippte auf den Fersen. Sie wußte es! Sie wußte, was passiert war. Der Gedanke, daß Jackson Lisa anrührte, daß er ihr etwas antun würde, weil er ihr, LuAnn, die Verantwortung für die Fehlschläge gab, lähmte sie dermaßen, daß sie nicht mehr klar denken und handeln konnte.
»Willst du damit sagen, du stehst mit diesem Kerl in irgendeiner psychischen Verbindung?« fragte Riggs.
»Nein, nicht mit ihm! Mit ihr! Mit meiner Tochter!«
Riggs blieb wie angewurzelt stehen und blickte zu Boden, während LuAnn weiter auf und ab schritt.
»Wir brauchen Informationen, Matthew. Jetzt. Sofort.«
Riggs stimmte ihr zu, wollte aber nicht zur Polizei gehen. Das wäre reine Zeitverschwendung. Endlose Erklärungen, die am Schluß nur dazu führen konnten, daß die Cops LuAnn an Ort und Stelle festnahmen. Schließlich sagte Riggs: »Los, komm!«
Sie gingen ins Motel. Vom öffentlichen Telefon aus rief Riggs Masters an. Das FBI hatte keine neuen Erkenntnisse. Jackson und Roger Crane waren noch nicht aufgetaucht.
Riggs berichtete Masters von den Vorfällen im Motel in der vergangenen Nacht.
»Bleiben Sie am Apparat«, sagte Masters.
Riggs wartete und schaute zu LuAnn hinüber, die ihn aus angsterfüllten Augen anstarrte. Stumm wartete sie auf die schlimmste Nachricht, die sie bekommen konnte. Sie wußte mit absoluter Sicherheit, daß diese Nachricht kommen würde. Riggs bemühte sich, sie aufmunternd anzulächeln. Doch bei genauerem Nachdenken verging ihm das Lächeln. Im Augenblick durfte er LuAnn wirklich keine Hoffnung machen; es gab nicht den geringsten Grund dafür. Und überhaupt – was brachte es, ihr vor einem tiefen Sturz in den Abgrund noch Mut zu machen?
Als Masters sich wieder meldete, klang seine Stimme nervös, und er sprach sehr leise. Riggs drehte sich um, während er in den Hörer sprach. Er brachte es einfach nicht fertig, LuAnn anzuschauen.
»Ich habe mich gerade bei der Polizei in Danville erkundigt«, sagte Masters. »Ihre Information ist zutreffend. In einem Motel am Stadtrand ist ein Mann durch eine Messerwunde schwer verletzt worden. Den Ausweisen zufolge, die man bei ihm gefunden hat, heißt er Robert Charles Thomas.«
Charlie? Riggs leckte sich die Lippen und umkrampfte den Hörer. »Seine Ausweise? Konnte er denn nicht mit der Polizei reden?«
»Er war bewußtlos. Hat eine Menge Blut verloren. Ist ein verdammtes Wunder, daß er noch lebt, wurde mir gesagt. Die Schnittwunde stammt von einem Profi. Sie ist so ausgeführt, daß das Opfer langsam verblutet. Außerdem hat man die Pfeile einer Betäubungspistole im Zimmer gefunden. Ich vermute, man hat das Opfer damit außer Gefecht gesetzt. Heute früh waren die Ärzte noch nicht sicher, ob der Mann durchkommt.«
»Wie sieht er aus?« Riggs hörte am anderen Ende der Leitung Papier rascheln. Er war ziemlich sicher, daß es sich um Charlie handelte, aber er brauchte hieb- und stichfeste Beweise.
»Anfang Sechzig, ungefähr einsneunzig groß, kräftig und muskulös. Muß stark wie ein Ochse sein, wenn er bis jetzt überlebt hat«, sagte Masters.
Riggs holte tief Luft. Nun gab es keine Zweifel mehr: Es war Charlie. »Wo ist er jetzt?«
»Der Rettungshubschrauber hat ihn nach Charlottesville geflogen, in die Universitätsklinik.«
Riggs spürte die Nähe eines anderen Menschen. Er drehte sich um. LuAnn stand dicht hinter ihm und schaute ihn mit großen, angsterfüllten Augen an.
»Hatte der Mann ein zehnjähriges Mädchen dabei?«
»Ich habe mich erkundigt. In dem Bericht steht, daß der Mann für ein paar Sekunden zu sich kam und einen Namen gerufen hat.«
»Lisa?«
Riggs hörte, wie Masters sich räusperte. »Ja.« Riggs schwieg. »LuAnn Tylers Tochter, nicht wahr? Der Kerl hat sie in seiner Gewalt, stimmt’s?« fragte Masters.
»So sieht es aus«, brachte Riggs mühsam hervor.
»Wo sind Sie?«
»Diese
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