Die Versuchung
bloßgelegter, kampfbereiter Muskel.
»Er wird mich trotzdem nicht in Ruhe lassen, LuAnn«, sagte Riggs ruhig. »Er wird mich verfolgen und umbringen, ganz gleich, ob ich zum FBI gehe oder nicht.« Sie sagte nichts; deshalb fuhr er fort: »Und ehrlich gesagt, bin ich zu alt und müde, um wegzulaufen und mich wieder zu verstecken. Lieber gehe ich ins Nest der Kobra und kämpfe mit ihr. Und am liebsten würde ich dieses Risiko eingehen, wenn du bei mir bist. Lieber habe ich dich an meiner Seite als einen FBI -Mann oder den besten Polizisten des Landes. Wahrscheinlich haben wir nur eine einzige Chance, und ich möchte es mit dir zusammen versuchen.« Er hielt inne. LuAnn schaute ihn stumm an. Ihr langes Haar flatterte im Wind. Ihre kräftigen Hände ballten sich zu Fäusten und entspannten sich wieder. »Falls du es auch willst«, fügte Riggs schließlich hinzu.
Der Wind hatte stark aufgefrischt. Die beiden standen nur einen halben Meter voneinander entfernt. Die Distanz würde jetzt viel größer oder kleiner werden; es hing von LuAnns Antwort ab. Trotz der Kälte hatten sich auf beiden Gesichtern Schweißtropfen gebildet.
Schließlich brach LuAnn das Schweigen.
»Steig ein.«
Das Zimmer war stockdunkel. Draußen goß es in Strömen. Es hatte fast den ganzen Tag geregnet. Lisa saß festgebunden auf einem Stuhl in der Zimmermitte. Ohne viel Erfolg bemühte sie sich, mit der Nase die Maske hochzuschieben, die ihre Augen bedeckte. Die absolute Dunkelheit – sie war völlig blind – zehrte an ihren Nerven. Sie hatte den Eindruck, daß gefährliche Ungeheuer in ihrer Nähe lauerten. Was das betraf, hatte sie völlig recht.
»Hast du Hunger?« Die Stimme erklangt direkt neben ihr. Lisa blieb vor Schreck beinahe das Herz stehen.
»Wer ist da? Wer sind Sie?« fragte sie mit zittriger Stimme.
»Ich bin ein alter Freund deiner Mutter.« Jackson kniete neben ihr. »Die Stricke sitzen doch nicht zu fest, oder?«
»Wo ist Onkel Charlie? Was haben Sie mit ihm gemacht?« Plötzlich war Lisas Mut wieder da.
Jackson lachte leise. »Onkel, ach ja?« Er stand auf. »Das ist gut, wirklich gut.«
»Wo ist er?«
»Das ist unwichtig«, fuhr Jackson sie an. »Wenn du Hunger hast, mußt du es mir sagen.«
»Ich will nichts essen.«
»Etwas trinken?«
Lisa zögerte. »Vielleicht … einen Schluck Wasser.«
Sie hörte im Hintergrund Glas klirren. Dann spürte sie etwas Kaltes an den Lippen und zuckte zurück.
»Es ist nur Wasser. Ich vergifte dich schon nicht«, sagte Jackson in so herrischem Tonfall, daß Lisa rasch den Mund öffnete und trank. Jackson hielt ihr das Glas so lange an die Lippen, bis es leer war.
»Wenn du sonst etwas willst, wenn du zum Beispiel aufs Klo mußt, brauchst du es nur zu sagen. Ich bin da.«
»Wo sind wir?« Als Jackson nicht antwortete, fragte sie: »Warum tun Sie das?«
Jackson stand in der Dunkelheit und dachte sorgfältig über die Frage nach, ehe er antwortete. »Deine Mutter und ich haben noch eine Rechnung offen. Das hängt mit Dingen zusammen, die vor vielen Jahren geschehen sind. Allerdings hat es in jüngster Zeit Rückschläge gegeben, die mir sehr zu schaffen machen.«
»Ich wette, daß meine Mom nichts mit Ihnen zu schaffen hat.«
»Im Gegenteil. Obwohl sie mir ihr ganzes jetziges Leben verdankt, hat sie alles getan, mir zu schaden.«
»Ich glaube Ihnen kein Wort«, erklärte Lisa hitzig.
»Das erwarte ich auch nicht«, sagte Jackson. »Du glaubst an deine Mutter. Das ist auch richtig so. Familienbande sind sehr wichtig.« Er verschränkte die Arme und dachte für einen Moment an seine eigene Familie, an Alicias süßes, friedliches Gesicht. Süß und friedlich im Tod. Nur mit Mühe verdrängte er das Bild.
»Meine Mom wird kommen und mich holen.«
»Das erwarte ich auch von ihr.«
Lisa steckte ein Kloß im Hals, als ihr die Bedeutung dieser Worte klar wurde. »Sie wollen ihr weh tun, nicht wahr? Sie wollen meiner Mom weh tun, wenn sie herkommt.« Ihre Stimme klang jetzt schrill.
»Ruf mich, wenn du etwas brauchst. Ich will dich nicht unnötig leiden lassen.«
»Bitte, tun Sie meiner Mom nichts.« Tränen strömten unter der Maske hervor.
Jackson gab sich größte Mühe, das Flehen zu ignorieren. Lisa schluchzte laut, doch nach einiger Zeit wimmerte sie nur noch leise vor Erschöpfung. Jackson hatte Lisa zum erstenmal als acht Monate alten Säugling gesehen. Sie war zu einem wunderschönen Mädchen herangewachsen. Hätte LuAnn sein Angebot damals nicht akzeptiert,
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