Die Versuchung
nicht, wenn man vom Supermarkt in die Bäckerei geht. Und ich habe auch keinen Führerschein.«
»Aber … aber Sie fahren doch gerade ein Auto.«
LuAnn fand Jacksons Erstaunen ausgesprochen lustig. Dieser Mann plante minutiös einen Multimillionen-Coup und konnte nicht fassen, daß LuAnn ohne Führerschein fuhr.
»Sie wären überrascht, wie viele Leute irgendwelche Dinge tun, zu denen sie gar nicht berechtigt sind.«
»Aber ohne gültigen Ausweis können Sie das Geld nicht bekommen.«
»Sind Sie irgendwo in der Nähe?«
»LuAnn, ich bin ins wundervolle Rikersville gefahren, nur um Sie zu treffen. Danach hat mich dort nichts mehr gehalten.« Erneut machte er eine Pause. LuAnn hörte die Verärgerung in seiner Stimme, als er fortfuhr: »Tja, da haben wir jetzt ein Problem.«
»Wieviel würde die Fahrkarte denn kosten?«
»Ungefähr tausendfünfhundert.«
LuAnn fiel Duanes Geldschatz ein. Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Sie hielt an der Straße, legte das Telefon auf den Sitz und durchsuchte rasch das Innere des Wagens. Die braune Papiertüte, die sie unter dem Fahrersitz entdeckte, enttäuschte sie nicht. Es war genug Geld darin, um sämtliche Zugabteile zu reservieren.
»Eine Kollegin hat ein bißchen Geld geerbt, als ihr Mann gestorben ist. Ich könnte sie bitten, mir etwas zu borgen. Sie gibt mir das Geld bestimmt, da bin ich sicher«, sagte sie zu Jackson. »Wenn ich bar zahle, brauche ich keinen Ausweis, oder?«
»Bargeld lacht, LuAnn. Ich bin sicher, daß Amtrak dann keine Schwierigkeiten macht. Aber natürlich dürfen Sie nicht Ihren richtigen Namen benutzen. Wählen Sie irgendeinen schlichten Namen, der nicht zu hochgestochen klingt. Und jetzt kaufen Sie das Lotterielos und rufen mich sofort wieder an. Kennen Sie die Strecke nach Atlanta?«
»Ist doch eine ziemlich große Stadt. Hab’ ich mir jedenfalls sagen lassen. Ich werde es schon finden.«
»Tragen Sie irgend etwas, um Ihr Gesicht zu verbergen. Wir wollen auf keinen Fall, daß jemand Sie erkennt.«
»Verstehe, Mr. Jackson.«
»Sie haben es beinahe geschafft, LuAnn. Herzlichen Glückwunsch.«
»Mir ist nicht nach Feiern zumute.«
»Keine Bange. Sie haben den Rest Ihres Lebens Zeit, die Feier nachzuholen – jeden Tag.«
LuAnn hängte den Hörer ein und schaute sich um. Der Buick hatte getönte Scheiben. Sie glaubte nicht, daß jemand sie gesehen hatte, aber das konnte sich ändern. Sie mußte den Wagen so schnell wie möglich loswerden.
Die Frage war nur: wo? Sie wollte beim Aussteigen nicht gesehen werden. Aber eine hochgewachsene, blutverschmierte Frau, die mit einem Baby auf dem Arm aus einem Luxusschlitten mit getönten Scheiben und einer obszönen Kühlerfigur stieg, übersah man nicht so leicht.
Plötzlich kam ihr eine Idee. Vielleicht war die Sache nicht ganz ungefährlich, aber sie hatte keine große Wahl. LuAnn wendete den Wagen und fuhr zurück. Nach zwanzig Minuten glitt sie langsam über die ungeteerte Straße. Schließlich tauchte der Wohnwagen auf. Sie sah keine anderen Fahrzeuge. Alles war still.
Als sie vor dem Wohnwagen hielt, brach ihr der kalte Angstschweiß aus. Wieder spürte sie die Hände des Mannes am Hals und sah, wie die Messerklinge herabsauste. »Wenn du den Kerl aus der Tür kommen siehst«, sagte sie laut zu sich selbst, »fährst du ihn über den Haufen. Dann kann er die Ölwanne von unten küssen.«
LuAnn ließ das elektrisch betätigte Fenster auf der Beifahrerseite herunter und lauschte. Kein Laut kam aus dem Wohnwagen. Dann wischte sie mit einer von Lisas Windeln systematisch alles im Inneren des Wagens ab, das sie berührt hatte. Schließlich hatte sie mehr als eine Sendung von Amerikas meistgesuchte Verbrecher gesehen. Wäre es nicht zu gefährlich gewesen, hätte sie den Wohnwagen betreten und auch das zerschmetterte Telefon abgewischt. Aber schließlich hatte sie fast zwei Jahre in dem Wagen gehaust. Ihre Fingerabdrücke waren sowieso überall.
Sie stieg aus und stopfte das Geld aus der Tüte, die sie im Wagen gefunden hatte, unter die Decke in Lisas Babytasche. Dann zupfte sie ihre zerrissene Bluse einigermaßen zurecht, nahm Lisa mit dem heilen Arm und ging schnell zurück zur Hauptstraße.
Aus dem Wohnwagen beobachteten zwei dunkle Augen LuAnns eilige Flucht. Keine Einzelheit entging ihnen. Als LuAnn plötzlich über die Schulter blickte, trat der Mann rasch zurück in den Schatten. LuAnn kannte ihn nicht, doch er wollte nicht riskieren, daß sie ihn sah. Seine dunkle Lederjacke war vorn
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