Die Verwandlung - Blutsbande 1
durch meine Bewegung war sein Morgenmantel komplett aufgegangen, und er hatte nicht vor, ihn wieder zuzumachen. Ich versuchte, nicht dort hinzuschauen, wohin meine fleischliche Lust hinzusehen verlangte. Aber auf der anderen Seite wollte ich auch nicht in sein Gesicht blicken. Seine Freude war offensichtlich. Es schien ihm zu gefallen, dass mir die Situation unangenehm war. „Oh, entschuldige bitte, bin ich dir peinlich?“
„Du vergisst, dass ich Ärztin bin. Beziehungsweise war.“ Plötzlich fühlte ich mich schuldig. „Ich habe ständig nackte Körper vor mir gesehen. Nach einer gewissen Zeit sehen sie alle gleich aus.“
„Ach wirklich?“ Er stand auf und kam mir viel zu nah.
„Also, hast du ihnen befohlen, Cami zu töten, oder nicht?“ Ich würde mich von ihm nicht provozieren lassen, das hatte ich mir vorgenommen. Zumindest hoffte ich das.
„Weißt du, du verstehst einfach keinen Spaß“, sagte er. „Nein, ich habe diese kleine Show nicht arrangiert. Ich halte nichts davon, draußen zu essen. So groß das Grundstück auch sein mag, vielleicht haben die Nachbarn ihre Schreie gehört. Ich vertrage Besuch von der Polizei nicht, um es einmal so auszudrücken, obwohl ich eine kleine Schwäche für Handschellen habe.“
Ich verdrehte die Augen. „Na, wenn das mal kein Klischee ist.“
„Da könnte ich nicht widerstehen.“ Cyrus ging langsam um mich herum und berührte seine Lippen mit seinem Zeigefinger. „Irgendwas ist an dir dran. Ich spüre das.“
„Ich bin ein bisschen hungrig“, gab ich zu. „Aber ich will kein Menschenopfer. Kannst du einen deiner Lieblinge dazu bringen, ein wenig Blut zu spenden?“
Cyrus stand hinter mir und legte mir seine Hände auf die Schultern. Bevor ich ihn zurückhalten konnte, zog er meinen Mantel nach hinten, sodass sich der Gürtel löste und ich nur noch in dem dunkelblauen T-Shirt vor ihm stand, das Nathan mir geliehen hatte.
Er beugte sich über meinen Nacken und schnupperte an meinem Kragen.
„Das ist also das Problem.“
Er drehte mich um und griff meine Oberarme so heftig, dass ich wusste, ich würde blaue Flecken bekommen. Aber in Sekunden würden sie auch wieder verschwinden. „Geh und bring Clarence dieses Ding, damit er es vernichtet. Ebenso wie alle anderen Gegenstände von ihm, die du vielleicht mitgebracht hast.“
Obwohl ich mich zusammenreißen wollte, verzog ich vor Schmerz das Gesicht. „Was ist mit deinem Vorsatz, mir deinen Willen nicht aufzuzwingen?“
Mit einem wütenden Schnaufen schubste er mich. Ich landete auf einem der zierlichen Stühle, die mit gestickten Kissen bedeckt waren. Durch mein Fallen wurde der Stuhl ein Stück nach hinten geschoben.
Cyrus kam auf mich zu und stützte sich auf die polierten Armlehnen. „Überfordere nicht meine Geduld , dann brauche ich dir auch nicht meinen Willen aufzuzwingen.“
Zum ersten Mal fühlte ich mich neben ihm sehr schwach und verletzlich. Ich war sicher, dass er mich nicht töten würde. Aber das tröstete mich nicht besonders, da ich wusste, wie viel Schmerz ein Vampir aushalten konnte.
Fast hätte ich mich bei ihm entschuldigt, doch als ich in seine kalten, verschiedenfarbigen Augen sah, hatte ich keinen Grund mehr dazu.
Cyrus schob den Stuhl heftig zur Seite und stapfte zur Geheimtür. Die Schöße seines offenen Morgenmantels wehten dabei.
„Und was ist mit meinem Frühstück?“, rief ich ihm hinterher, durch meinen Sieg beim Wettbewerb im Anstarren ein wenig übermütig geworden.
„Ich werde Clarence sagen, er soll dir etwas bringen“, grummelte er. „Aber danach lernst du besser, von einem Menschen zu trinken, wie ein richtiger Vampir. Dein Verhalten fällt auf mich zurück, und ich will mir nicht nachsagen lassen, mein Blut sei schwach.“
Nachdem er weg war, ging ich ins Schlafzimmer, um mich umzuziehen. So böse, wie er war, ging ich nicht davon aus, ihn an diesem Abend noch zu sehen. Aber ich durfte nicht unvorsichtig sein. Ich zog die Kleidung an, die ich im Schrank fand, statt der, die mir Nathan gekauft hatte. Ein schwarzer Rollkragenpullover und bequeme Hosen waren die Stücke, die meiner üblichen Uniform aus T-Shirt und Jeans am nächsten kamen.
Clarence brachte mir meine Abendmahlzeit, eine Karaffe mit noch warmem Blut, frischem Obst – die B-Version eines Frühstücks. Ich versuchte mich ein wenig mit ihm zu unterhalten, aber das Einzige, was er hervorbrachte, war ein Minimum an höflichem Small Talk. Irgendwann gab ich auf und aß weiter, ohne
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