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Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Titel: Die Verwandlung der Mary Ward - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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soll. Dann kann er alles zurücklassen. Er hat dann ein richtiges Wohnmobil und kann irgendwohin fahren, wo er Strom durchs Fenster bekommen kann.«
    Eines Sonntags fahren Walter, Sky und ich hinaus zum Opryland. Sky erklärt uns: »Das ist nicht einfach nur ein Konzertsaal, sondern eine ganze Anlage. Wenn alles fertig ist, wird es wie ein Dorf sein. Deswegen nennen sie es auch Opry land . Man könnte hier leben, ohne sich von der Stelle zu bewegen, und hätte alles, was man so braucht.«
    Es hat den größten Parkplatz der Welt.
    Und der blaue Chevvy ist der einzige Wagen darauf. Wir sitzen da und starren auf die weite Fläche um uns herum.
    Bentwater ist auch dabei. Es gibt keine Anzeichen dafür, daß er Walter betrügt. Manchmal trifft das, was alle vorhersagen, doch nicht ein. Er schaut auf den riesigen Parkplatz und meint: »Irgendwie bewegt mich das. Der Teufel mag wissen, warum.«
    Und dann erleben wir etwas Schönes.
    Sky hat ihre Rollschuhe mitgebracht. Sie erzählt uns, daß es noch die sind, die sie mit dreizehn bekommen hat. Sie schnallt sie sich an, steckt den Rock hoch, nimmt den Schal ab und klettert aus dem Chevvy. Sie stapft ein bißchen herum, dann sieht sie zu uns herüber und lächelt uns an.
    »Los!« sagt Walter. »Zeig uns was!«
    Also beginnt sie zu laufen. Die Rollschuhe sehen an ihren dünnen Beinen riesig aus. Ich hätte gedacht, sie würde hinfallen und sich blaue Flecken holen. Doch sie fällt nicht hin. Sie hebt die Arme wie eine Tänzerin und gleitet sauber dahin. Sie läuft Kreise und Figuren. Ihr Haar fliegt, als sie schneller fährt. Sie ist graziös wie eine Schwalbe. Wir sitzen absolut still da, die Sonne brennt auf uns nieder, und wir sehen ihr zu.
    Ein Mädchen, das auf einem Parkplatz Rollschuh fährt. Man hätte das nicht unbedingt für etwas Wunderbares gehalten.
    »Zum Donnerwetter!« sagt Bent.
    Walter hört und sieht nichts außer Sky. Langsam steigt er aus dem Wagen und geht zu ihr hinüber. Er zieht sein Rheinkiesel-Jackett aus und läßt es fallen. Dann breitet er die Arme aus.
    Ich habe ein Kakerlaken-Motel gekauft. Nun sehe ich in den hellen Nächten nichts mehr von meinen Kakerlaken. Sie sind in das Motel getanzt und dort gestorben. Les Ches’ Gedanken waren außer um seine Sitzgarnitur aus Lederimitation und seine verlorene Frau immer um solche Kakerlaken-Motels gekreist.
    Unsere Gedanken sind wie Frauen auf einem Flohmarkt: Sie sichten und suchen und wühlen herum.
    Meine Gedanken wühlen auch herum. Sie beschäftigen sich mit etwas aus meiner Vergangenheit.
    Mit Estelle. Meiner Mutter. Est.
    Manchmal – die meiste Zeit – ist sie mit Cord in Gresham Tears. Manchmal ist sie auch im Mountview. Nie ist sie bei Timmy und Pearl. Hin und wieder sehe ich sie an einem Ort, den ich nicht zu kennen scheine.
    Doch wo ich sie auch sehe, ist sie schön. Sogar dann, wenn sie einen grauen, quadratischen Lappen strickt. Sie hat eine weiße, reine Haut und ihr altes schönes Lächeln.
    Manchmal sehe ich sie an einem Fenster. Vielleicht ist es ein Fenster in Gresham Tears, vielleicht auch nicht. Ich kann nur sehen, daß das Fenster halb offen ist und Sonnenlicht auf meine Mutter fällt, die dort steht und wartet.

20. Kapitel
    1980
Estelle:
    Ein neues Jahrzehnt.
    Aber.
    Heutzutage muß man hinter alles ein »Aber« setzen. »Ich lebe. Aber.«
    Zu viel hat sich ereignet. All das wirbelt so in meinem Kopf herum, daß ich mir hier im Mountview etwas Ruhe gönnen mußte.
    Aber.
    Mountview wird geschlossen.
    Heißt es jedenfalls.
    »Neue Regierungspolitik.«
    Ich habe nie darauf geachtet, was die Regierungen machen. Ich hätte besser aufpassen müssen.
    Es soll ein Hotel werden. Mit einem Schwimmbad im Tiefgeschoß. Ich sage zu ihnen: »Aber das macht doch nichts. Ich bleibe einfach hier und werde Hotelgast. Ich kaufe mir einen Badeanzug.« Und sie erwidern: »Hören Sie auf, über alles Witze zu machen, Estelle. Konzentrieren Sie sich darauf, gesund zu werden.« Ich entgegne: »Wenn man früher hier einen Witz machte, wurde das als Zeichen der Genesung angesehen.« Und sie: »Das Personal ist heutzutage besser ausgebildet als früher.«
    Dieses neue, besser ausgebildete Personal glaubt, es könne einen durch Ausfragen gesund machen. Ich habe meinen eigenen, persönlichen Befrager. Sie heißt Linda und könnte meine Tochter sein. Ich gehe zum sogenannten Besprechungszimmer, sitze Linda gegenüber und werde von ihr ausgefragt. Sie lächelt, wenn ich hereinkomme, und dann sagt sie

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