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Die Verwirrungen des Zöglings Törleß

Die Verwirrungen des Zöglings Törleß

Titel: Die Verwirrungen des Zöglings Törleß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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deswegen erzählt er mir lang und breit, wie man als Genußmensch – ja, so hat er gesagt – mit Frauen umgehen müsse. Er sagt, alle Weiber seien nichts anderes wert; woher wollt ihr denn das schon wissen?!«
    Beineberg grinste sie zur Antwort spöttisch an.
    »Ja lach nur!« herrschte ihn Božena belustigt an, »ich habe ihn einmal gefragt, ob er sich denn nicht vor seiner Mutter schämen würde. ›Mutter? ... Mutter?‹; sagt er drauf, ›was ist das? Das existiert jetzt nicht. Das habe ich zu Hause gelassen, bevor ich zu dir ging ...‹; Ja, mach nur deine langen Ohren auf, so seid ihr! Nette Söhnchen, ihr feinen jungen Herren; eure Mütter könnten mir beinahe leid tun! ...«
    Bei diesen Worten bekam Törleß wieder die frühere Vorstellung von sich selbst. Wie er alles hinter sich ließ und das Bild seiner Eltern verriet. Und nun mußte er sehen, daß er damit nicht einmal etwas fürchterlich Einsames, sondern nur etwas ganz Gewöhnliches tat. Er schämte sich. Aber auch die anderen Gedanken waren wieder da. Sie tuen es auch! Sie verraten dich! Du hast geheime Mitspieler! Vielleicht ist es bei ihnen irgendwie anders, aber das muß bei ihnen das gleiche sein: eine geheime, fürchterliche Freude. Etwas, in dem man sich mit all seiner Angst vor dem Gleichmaß der Tage ertränken kann ... Vielleicht wissen sie sogar mehr ...?! ... Etwas ganz Ungewöhnliches? Denn sie sind am Tage so beruhigt; ... und dieses Lachen seiner Mutter? ... als ob sie mit ruhigem Schritte ginge, alle Türen zu schließen. – – – –
    In diesem Widerstreite kam ein Augenblick, wo Törleß sich aufgab und sich mit erwürgtem Herzen dem Sturm überließ.
    Und gerade in diesem Augenblicke stand Božena auf und trat zu ihm hin.
    »Warum spricht denn der Kleine nichts? Hat er Kummer?«
    Beineberg flüsterte etwas und lächelte boshaft.
    »Was, Heimweh? Ist wohl die Mama weggefahren? Und der garstige Bub läuft gleich zu so einer!«
    Božena vergrub zärtlich ihre Hand mit gespreizten Fingern in sein Haar. »Geh, sei nicht dumm. Da gib mir einen Kuß. Die feinen Menschen sind auch nicht von Zuckerwerk,« und sie bog ihm den Kopf zurück.
    Törleß wollte etwas sagen, sich zu einem derben Scherze aufraffen, er fühlte, daß jetzt alles davon abhänge, ein gleichgültiges, beziehungsloses Wort zu sagen, aber er brachte keinen Laut heraus. Er starrte mit einem versteinten Lächeln in das wüste Gesicht über dem seinen, in diese unbestimmten Augen, dann begann die Außenwelt klein zu werden ..., sich immer weiter zurückzuziehen. ... Für einen Augenblick tauchte das Bild jenes Bauernburschen auf, der den Stein gehoben hatte, und schien ihn zu höhnen ..., dann war er ganz allein. – – – –
     

»Du, ich hab' ihn«, flüsterte Reiting.
    »Wen?«
    »Den Spielladendieb.«
    Törleß war eben mit Beineberg zurückgekommen. Es war knapp vor der Zeit des Nachtmahls, und das diensthabende Aufsichtsorgan war schon weggegangen. Zwischen den grünen Tischen hatten sich plaudernde Gruppen gebildet, und ein warmes Leben summte und surrte durch den Saal.
    Es war das gewöhnliche Schulzimmer mit weißgetünchten Wänden, einem großen schwarzen Kruzifix und den Bildnissen des Herrscherpaares zu Seiten der Tafel. Neben dem großen eisernen Ofen, der noch nicht geheizt war, saßen, teils auf dem Podium, teils auf umgelegten Stühlen, die jungen Leute, welche nachmittags das Ehepaar Törleß zur Bahn begleitet hatten. Außer Reiting waren es der lange Hofmeier und Dschjusch, unter welchem Spitznamen ein kleiner polnischer Graf verstanden wurde.
    Törleß war einigermaßen neugierig.
    Die Spielladen standen im Hintergrunde des Zimmers und waren lange Kästen mit vielen versperrbaren Schubfächern, in denen die Pfleglinge des Institutes ihre Briefe, Bücher, Geld und allen möglichen kleinen Kram aufbewahrten.
    Und bereits seit geraumer Zeit klagten einzelne, daß ihnen kleinere Geldbeträge fehlten, ohne daß sie jedoch bestimmte Vermutungen hätten aussprechen können.
    Beineberg war der erste, der mit Gewißheit sagen konnte, daß ihm – in der Vorwoche – ein größerer Betrag gestohlen worden sei. Aber nur Reiting und Törleß wußten darum.
    Sie hatten die Diener im Verdachte.
    »So erzähl doch!« bat Törleß, aber Reiting machte ihm rasch ein Zeichen: »Pst! Später. Es weiß noch niemand davon.«
    »Ein Diener?« flüsterte Törleß.
    »Nein.«
    »So deute doch wenigstens an, wer?«
    Reiting wandte sich von den übrigen ab und sagte leise:

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