Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit
mit dem Leben nicht zurechtkommt und straffällig wird? Die Kommission stellte zwölf Regeln auf. Hier ein Auszug davon: »Fangen Sie in früher Kindheit an, dem Kind alles zu geben, was es will. Auf diese Weise wird es bald glauben, dass die Welt ihm das Leben schuldig ist. – Geben Sie ihm keinerlei religiöse Erziehung. Lassen Sie es 18 Jahre alt werden und dann ›selbst entscheiden‹. – Vermeiden Sie, das Wort ›unrecht‹ zu gebrauchen. Das könnte zu einem Schuldkomplex führen. Wenn man es später wegen Autodiebstahl verhaftet, wird es glauben, dass die Gesellschaft gegen es eingestellt ist. – Streiten Sie sich häufig mit Ihrem Partner in der Gegenwart Ihrer Kinder. Auf diese Weise vermeiden Sie, dass diese später schockiert sind, wenn die Familie zerbricht. – Wenn Ihr Kind in echte Schwierigkeiten kommt, entschuldigen Sie sich selbst, indem Sie sagen: ›Ich konnte niemals etwas mit ihm anfangen.‹ – Stellen Sie sich auf ein Leben voller Kummer ein, Sie haben berechtigte Aussicht darauf.«
Auch wenn Eltern oder andere Erzieher sicherlich nicht wollen, dass die ihnen anvertrauten Kinder lebensunfähig werden, führt ihr Handeln häufig genau zu einem solchen Resultat. Und im Rückblick auf die Geschichte der Erziehung wird deutlich, dass dies kein Phänomen der Neuzeit ist, auch wenn in unseren Tagen die Zusammenhänge und Auswirkungen viel differenzierter und komplizierter geworden sind. Schon über 200 Jahre vor diesem Text aus den USA wurde die folgende Anleitung verfasst. So fragte Rousseau die Menschen seiner Zeit:
»Kennt ihr das sicherste Mittel, euer Kind unglücklich zu machen? Gewöhnt es daran, alles zu bekommen! Denn seine Wünsche wachsen unaufhaltsam mit der Leichtigkeit ihrer Erfüllung. Früher oder später zwingt euch die Unmöglichkeit, sie alle zu erfüllen, zur Ablehnung, und diese ungewohnte Ablehnung wird es mehr verwirren als der Verzicht auf das, was es haben wollte. Zuerst möchte es den Spazierstock haben, dann die Uhr, dann den Vogel in der Luft, den funkelnden Stern, alles, was es sieht.« 9
Darüber, wie nun dieses Erlernen des Lebens , die geeignetste Hilfe zum Erwachsenwerden auszusehen hat, wird seit Generationen heftig gestritten. Die Suche nach dem richtigen Weg wird dadurch erschwert, dass die jeweiligen Ziele, auf welche hingewirkt wird, meist nicht klar zum Ausdruck gebracht werden. So sind verschiedenartige Erziehungspraktiken die Folge unterschiedlicher Menschenbilder bzw. Gesellschaftsverständnisse. Um die Gegensätzlichkeit dieser Wege zum Erwachsenwerden zu verdeutlichen, hier eine Typisierung von drei weitverbreiteten Handlungsmustern bzw. Erziehungsstilen:
Das Elternhaus als Disziplinierungsanstalt:
Handeln lernen durch Unterwerfung .
Der – hoffentlich – überkommene Ansatz!
Das Elternhaus als Leer-Institution:
Handeln lernen durch Selbstüberlassung .
Ein als fortschrittlich dargestellter Ansatz!
Das Elternhaus als Beziehungs- und Entwicklungsraum:
Handeln lernen in sozialer Verantwortung .
Der zukunftsorientierte Ansatz!
Wird hier auch vom Elternhaus als Urstätte erzieherischer Verantwortung ausgegangen, so sind Kindergarten, Schule und andere tragende Kräfte von Erziehung ebenso im Blick. Die obige Gegenüberstellung verdeutlicht, dass die oft eingebrachte Alltagsauffassung ›Ich nehme mir halt von allem etwas und bastle mir so meinen eigenen pädagogischen Handlungsrahmen‹ keine Tragfähigkeit hat. Denn ein Disziplinierungsverständnis widerspricht einem Entwicklungs- und Beziehungsraum ebenso wie die Selbstüberlassung – wobei ein Handeln in sozialer Verantwortung natürlich die Akzeptanz von Grenzen und eine Unterordnung gegenüber Regeln und Normen einschließt.
Erziehung ist Anregung und ermutigende Hilfe für Kinder und Jugendliche durch Eltern und andere Erziehungskräfte. Sie umfasst alle Bestrebungen, die zu einem selbstständigen und eigenverantwortlichen Leben in der Gesellschaft führen.
Dies schließt auch die Weiterentwicklung von gesellschaftlichen Normierungsprozessen ein. Zeichnet sich ein solcher Entwicklungsraum durch tragfähige Beziehungen, Geborgenheit, Kontinuität und Sicherheit aus, bietet er optimale Voraussetzungen, um
❯ vom Noch-nicht-Können zum Immer-besser-Können und
❯ vom Verharren vor Hürden zum ›Wie kann es trotzdem gehen?‹ zu gelangen.
Bei der Erziehung geht es also um das Erlernen des Lebens. ›Weltoffenheit und Unfertigkeit‹ verdeutlichen gleichzeitig Ausgangspunkt und
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