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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Während sie sprach, huschte das Licht der vorbeiflitzenden Scheinwerfer über ihr Gesicht, das er nach wie vor nur im Profil sah. Er starrte sie unverwandt an - noch nie hatte ihm jemand so gefehlt. Er hätte gern geglaubt, daß sie die alten Sachen für ihn angezogen hatte, aber er wußte, sie waren einfach nur ihre Spielkluft. Als sie ihn in Dr. Zajacs Praxis verführt hatte, war ihr vermutlich gar nicht bewußt gewesen, was sie trug, und sie erinnerte sich wahrscheinlich überhaupt nicht mehr an die Reihenfolge, in der sie ihre Kleider ausgezogen hatte. Wallingford würde Kleider und Reihenfolge niemals vergessen. Sie verließen die Innenstadt von Green Bay, das so gut wie keine Innenstadt hat - nichts als Bars, Kirchen und ein ausgezehrt wirkendes Einkaufszentrum am Flußufer -, in westlicher Richtung. Es gab nicht viele Gebäude, die mehr als drei Stockwerke hoch waren, und der einzige größere Hügel - eine riesige Kohlenhalde, praktisch ein Kohlenberg - lag dicht am Fluß, wo Schiffe Ladung aufnahmen und löschten, bis im Dezember die Bucht zufror.
    »Ich wäre nicht gerne Mike Holmgren, der mit seinen Four-Two-Seattle-Seahawks hierher zurückkommt«, wagte sich Wallingford vor. (Es war eine Version eines Kommentars, den er im Sportteil gelesen hatte.) »Du hörst dich an, als hättest du Zeitung gelesen oder ferngesehen«, sagte Mrs. Clausen. »Holmgren kennt die Packers besser, als sie sich selber kennen. Und Seattle hat eine gute Defense. Gegen Mannschaften mit einer guten Defense haben wir dieses Jahr nicht viele Punkte geholt.«
    »Ach.« Wallingford beschloß, sich nicht mehr zum Spiel zu äußern. Er wechselte das Thema. »Ihr habt mir gefehlt, du und der kleine Otto.« Mrs. Clausen lächelte bloß. Sie wußte genau, wo sie hinwollte. An ihrem Wagen befand sich kein spezieller Parkaufkleber; sie wurde auf eine Spur gewinkt, auf der keine anderen Autos fuhren, und gelangte von dort auf einen reservierten Teil des Parkplatzes.
    Sie parkten ganz nahe am Stadion und nahmen einen Fahrstuhl zur Pressekabine, wo Doris sich nicht einmal die Mühe machte, ihre Tickets einem offiziell aussehenden älteren Mann zu zeigen, der sie sofort erkannte. Er begrüßte sie mit einer liebevollen Umarmung und einem Kuß, und sie sagte mit einem Nicken zu Wallingford hin: »Er gehört zu mir, Bill. Patrick, das ist Bill.«
    Als Patrick dem anderen die Hand gab, rechnete er damit, erkannt zu werden, doch das war offenbar nicht der Fall. Es lag wohl an der Skimütze, die Mrs. Clausen ihm beim Aussteigen gegeben hatte. Er hatte ihr gesagt, er bekomme nie kalte Ohren, aber sie hatte gesagt: »Hier schon. Außerdem soll sie dir nicht nur die Ohren warm halten. Ich möchte, daß du sie trägst.«
    Es ging ihr nicht darum, daß er nicht erkannt wurde, obwohl die Mütze verhindern würde, daß ein ABC-Kameramann ihn aufspürte - ausnahmsweise würde Patrick Wallingford einmal nicht vor der Kamera stehen. Doris hatte auf der Mütze bestanden, damit er so aussah, als gehöre er auch wirklich hierher. Patrick trug einen schwarzen Mantel, darunter ein Tweedjackett und einen Rollkragenpullover und dazu graue Flanellhosen. So gut wie niemand hatte bei einem Spiel der Packers einen derart schicken Mantel an.
    Die Skimütze war Green-Bay-grün mit einer gelben Stulpe, die sich über die Ohren ziehen ließ; natürlich prangte auch das unverwechselbare Logo der Packers darauf. Es war eine alte Mütze, und sie war von einem Kopf gedehnt worden, der größer war als der von Wallingford. Patrick mußte Mrs. Clausen nicht fragen, wessen Mütze das war. Sie hatte eindeutig ihrem verstorbenen Mann gehört.
    Sie gingen durch die Pressekabine, wo Doris noch ein paar andere offiziell aussehende Leute begrüßte, ehe sie ganz oben auf die unüberdachte Tribüne hinaustraten. Die meisten Fans gelangten nicht auf diesem Weg ins Stadion, aber jedermann schien Mrs. Clausen zu kennen. Sie war schließlich Angestellte der Green Bay Packers. Die steile Treppe hinunter stiegen sie dem strahlend schönen Spielfeld entgegen. Es bestand aus knapp 7500 Quadratmetern Naturrasen - eine sogenannte blaue Sportrasenmischung. An diesem Abend wurde zum erstenmal darauf gespielt.
    »Wow«, sagte Wallingford nur leise. Obwohl sie früh dran waren, war Lambeau Field bereits mehr als halb voll.
    Das Stadion ist eine reine Schüssel, ohne Lücken und ohne oberen Rang; im Lambeau gibt es nur einen Rang, und die Plätze sind zu einer unüberdachten Tribüne angeordnet. Sie war

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