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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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abwandte; dann sah er Sabina an, die mit vorgetäuschter Unbeteiligtheit zurückstarrte. Mary warf er nicht einmal einen flüchtigen Blick zu.
    »Dann feuern wir dich, Pat«, sagte Mary. »Dann feuert mich.«
    Er mußte nicht einmal darüber nachdenken. Ob mit oder ohne einen Job bei pbs oder npr , er hatte eine ganze Menge Geld verdient; außerdem konnten sie ihn nicht feuern, ohne irgendeine Abfindungsregelung zu treffen. Im Grunde brauchte Patrick zumindest einige Jahre lang keinen Job.
    Er sah zuerst Mary, dann Sabina an, wartete auf eine Reaktion. »Okay, wenn das so ist, dann sind Sie gefeuert«, verkündete Wharton. Alles schien überrascht davon, daß das von Wharton kam, sogar Wharton selbst. Vor der Ablaufbesprechung hatte bereits eine andere Besprechung stattgefunden, zu der Patrick nicht eingeladen worden war. Wahrscheinlich hatten sie dabei entschieden, daß Sabina diejenige sein würde, die Wallingford feuerte. Sabina jedenfalls bedachte Wharton mit einem überrascht-verärgerten Blick. Mary Shanahan dagegen hatte ihre Überraschung ziemlich schnell überwunden.
    Vielleicht hatte Wharton ausnahmsweise einmal gespürt, wie etwas Unvertrautes, Aufregendes in ihm die Oberhand gewann. Doch sogleich hatte sich das ewig Fade an ihm wieder über sein rot angelaufenes Gesicht gelegt. Von Wharton gefeuert zu werden war wie eine halbherzige Ohrfeige im Dunkeln.
    »Wenn ich aus Wisconsin zurückkomme, können wir ausklamüsern, was ihr mir noch schuldet«, sagte Wallingford nur.
    »Bitte räum dein Büro und deine Garderobe aus, bevor du fährst«, sagte Mary. Das war das übliche Verfahren, aber es irritierte ihn. Sie schickten ihm einen von den Sicherheitsleuten, der ihm half, seine Sachen zusammenzupacken und die Kartons zu seinem Wagen hinunterzutragen. Niemand kam, um sich von ihm zu verabschieden, was ebenfalls dem üblichen Verfahren entsprach, obwohl Angie es wahrscheinlich getan hätte, wenn sie an diesem Sonntagabend im Dienst gewesen wäre.
    Wallingford war wieder in seiner Wohnung, als Mrs. Clausen anrief. Er selbst hatte seinen Bericht aus dem ›Ramada Plaza‹ nicht gesehen, aber Doris hatte sich die ganze Sache angeschaut. »Kommst du trotzdem?« fragte sie.
    »Ja, und ich kann so lange bleiben, wie du willst«, sagte Patrick. »Ich bin gerade gefeuert worden.«
    »Das ist ja sehr interessant«, meinte Mrs. Clausen. »Guten Flug.« Diesmal hatte er eine Verbindung über Chicago und war rechtzeitig zur Abendsendung aus New York in seinem Hotelzimmer in Green Bay. Es überraschte ihn nicht, daß Mary die neue Moderatorin war. Wieder einmal konnte Wallingford sie nur bewundern. Sie war zwar nicht schwanger, aber mindestens eines der Babys, die sie gewollt hatte, hatte sie auch gekriegt.
    »Patrick Wallingford ist nicht mehr bei uns«, begann Mary fröhlich. »Guten Abend, Patrick, wo immer du auch bist!«
    In ihrer Stimme lag etwas zugleich Keckes und Tröstliches. Die Art, wie sie sich gab, erinnerte Patrick an damals in seiner Wohnung, als er ihn nicht hochgekriegt und sie mitfühlend »Armer Penis« gesagt hatte. Wie er erst mit Verspätung begriffen hatte, war Mary schon immer eine einflußreiche Figur gewesen.
    Nur gut, daß er sich aus dem Geschäft verabschiedete. Er war dafür nicht mehr gewieft genug. Vielleicht war er es nie gewesen. Und was für ein Nachrichtenabend es war! Natürlich hatte man keine Überlebenden gefunden. Die Trauer um die Opfer von EgyptAir 990 hatte gerade erst begonnen. Man sah die üblichen von Katastrophen angelockten Schaulustigen, die sich an einem grauen Strand auf Nantucket versammelt hatten - die »Leichenspicker«, wie Mary sie einmal genannt hatte. Die »Todesgucker«, so Whartons Begriff für sie, waren warm angezogen.
    Die Nahaufnahme vom Deck eines Schiffes der Handelsmarine aus - der Haufen der aus dem Atlantik geborgenen Habseligkeiten von Passagieren - war wohl Whartons Werk. Nach Überschwemmungen, Wirbelstürmen, Erdbeben, Eisenbahnunglücken, Flugzeugabstürzen, Schulschießereien und anderen Massakern entschied sich Wharton stets für Aufnahmen von Kleidungsstücken, besonders Schuhen. Und natürlich gab es auch noch Kinderspielzeug; verstümmelte Puppen und nasse Teddybären gehörten zu Whartons liebsten Katastrophenartikeln. Zum Glück für den Nachrichtensender traf als erstes ein Schulschiff der Handelsmarine mit siebzehn Kadetten an Bord an der Absturzstelle ein. Dank dieser jungen Burschen ließ sich der menschliche Aspekt der Sache besonders

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