Die vierte Hand
Begleitbrief hatte seine Frau verfaßt.
Mrs. Clausen stammte aus Appleton und erwähnte voller Stolz, daß Otto bereits beim Zentrum für Organspende von Wisconsin registriert sei. »Aber die Sache mit der Hand verhält sich ein bißchen anders - anders als bei Organen, meine ich«, bemerkte sie.
Mit Händen verhielt es sich in der Tat anders als mit Organen, wie Dr. Zajac wußte. Doch Otto Clausen war erst neununddreißig und, wie es aussah, der Schwelle des Todes alles andere als nahe. Dr. Zajac glaubte, daß lange vor Ottos Tod eine frische Leiche mit passender Spenderhand auftauchen würde.
Was Patrick Wallingford anging, so hätte sein Verlangen und sein Bedürfnis nach einer neuen linken Hand ihn womöglich auch dann an die Spitze von Dr. Zajacs Liste potentieller Empfänger befördert, wenn er nicht berühmt gewesen wäre. Zajac fehlte es nicht völlig an Mitgefühl. Aber er gehörte auch zu den Millionen Menschen, die die Löwengeschichte auf Video aufgenommen hatten. Für Dr. Zajac war der Bericht eine Kombination aus Lieblingshorrorfilm eines Handchirurgen und Vorbote seines künftigen Ruhms.
Es genügt, wenn man sagt, daß Patrick Wallingford und Dr. Nicholas M. Zajac sich auf Kollisionskurs befanden, was von vornherein nichts Gutes ahnen ließ.
3
Vor der Bekanntschaft mit Mrs. Clausen
Versuchen Sie mal, als Moderator Ihren Armstumpf unterm Tisch zu verbergen - Sie werden schon sehen, was Sie davon haben. Die ersten Protestbriefe kamen von Amputierten. Wessen schämte sich Patrick Wallingford?
Selbst Leute mit zwei Händen beschwerten sich. »Seien Sie ein Mann, Patrick«, schrieb eine Frau. »Zeigen Sie's uns.«
Als er Probleme mit seiner ersten Prothese hatte, kritisierten ihn Träger künstlicher Gliedmaßen, weil er sie falsch benutze. Mit einer Reihe anderer prothetischer Hilfen stellte er sich ebenso ungeschickt an, aber seine Frau ließ sich gerade von ihm scheiden - er hatte keine Zeit zum Üben. Marilyn kam einfach nicht darüber hinweg, wie er sich »verhalten« habe. In diesem Falle meinte sie nicht die andere Frau - sie sprach davon, wie Patrick sich bei dem Löwen verhalten hatte. »Du hast so... unmännlich gewirkt«, sagte Marilyn zu ihm und fügte hinzu, die körperliche Attraktivität ihres Mannes sei stets »von unaufdringlicher, fast auf Farblosigkeit hinauslaufender Art« gewesen. In Wirklichkeit meinte sie damit, daß nichts an seinem Körper sie abgestoßen hatte - bis jetzt. (In guten wie in schlechten Zeiten, aber nicht mit fehlenden Teilen, folgerte Wallingford.)
Patrick und Marilyn hatten in Manhattan gewohnt, in einer Wohnung in der East Sixty-second Street, zwischen der Park und der Lexington Avenue; mittlerweile war das natürlich Marilyns Wohnung. Nur der Doorman des Gebäudes, der die Nachtschicht versah, hatte Patrick Wallingford nicht abgeschrieben, und dieser Doorman war so wirr im Kopf, daß ihm sein eigener Name unklar war. Manchmal hieß er Vlad oder Vlade; dann wieder Lewis. Auch wenn er Lewis hieß, blieb sein Akzent ein nicht zu entschlüsselndes Gemisch aus Long Island und irgend etwas Slawischem.
»Wo kommen Sie her, Vlade?« hatte Wallingford ihn gefragt. »Ich heiße Lewis. Nassau County«, hatte Vlad geantwortet. Ein andermal sagte Wallingford: »Na, Lewis... wo kommen Sie eigentlich ursprünglich her?«
»Nassau County. Ich heiße Vlad, Mr. O'Neill.«
Nur der Doorman verwechselte Patrick Wallingford mit Paul O'Neill, der 1993 Rightfielder bei den New York Yankees wurde. (Sie waren beide hochgewachsen, dunkelhaarig, der gutaussehende Typ mit markantem Kinn, aber damit endete die Ähnlichkeit auch schon.) Der verwirrte Doorman hatte ungewöhnlich unerschütterliche Überzeugungen; er verwechselte Patrick schon mit Paul O'Neill, als O'Neill noch ein relativ unbekannter, wenig gewürdigter Spieler bei den Cincinnati Reds war.
»Ein bißchen sehe ich Paul O'Neill wohl schon ähnlich«, gab Wallingford gegenüber Vlad oder Vlade oder Lewis zu, »aber ich bin Patrick Wallingford. Ich bin Fernsehjournalist.«
Da Vlad oder Vlade oder Lewis der Doorman war, begegnete er Patrick immer nur im Dunkeln und häufig zu später Stunde. »Keine Bange, Mr. O'Neill«, flüsterte der Doorman verschwörerisch. »Von mir erfährt's keiner.«
Somit ging der Doorman davon aus, daß Paul O'Neill, der in Ohio Profibaseball spielte, eine Affäre mit Patrick Wallingfords Frau in New York hatte - jedenfalls soweit Patrick die Gedankengänge des armen Menschen nachvollziehen
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