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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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konnte.
    Eines Nachts, als Patrick nach Hause kam - es war lange vor seiner Scheidung, als er noch beide Hände hatte -, sah sich Vlad oder Vlade oder Lewis gerade ein aus Cincinnati übertragenes Spiel mit Extra-Inning an, in dem die Mets gegen die Reds antraten.
    »Schauen Sie mal her«, sagte Wallingford zu dem verblüfften Doorman, der sich in der Garderobe neben der Eingangshalle einen kleinen Schwarzweißfernseher aufgestellt hatte. »Da sind die Reds - sie spielen in Cincinnati! Trotzdem stehe ich hier direkt neben Ihnen. Ich spiele heute abend nicht, oder?«
    »Keine Bange, Mr. O'Neill«, sagte der Doorman mitfühlend. »Von mir erfährt's keiner.«
    Doch nach dem Verlust seiner Hand war Patrick Wallingford berühmter als Paul O'Neill. Außerdem hatte Patrick seine linke Hand verloren, und Paul O'Neill schlägt und wirft links. Wie Vlad oder Vlade oder Lewis bestimmt wußte, wurde O'Neill 1994 bester Schlagmann der American League; es war erst seine zweite Saison bei den Yanks, in der er einen Schnitt von .359 erzielte, und er war ein großartiger Rightfielder. »Die werden die Nummer 21 eines Tages aus dem Verkehr ziehen, Mr. O'Neill«, versicherte ihm der Doorman stur. »Verlassen Sie sich darauf.« Nachdem Patrick seine linke Hand verloren hatte, machte er nur noch einen einzigen Besuch in der Wohnung an der East Sixty-second Street, und zwar zu dem Zweck, seine Kleider, Bücher und die von Scheidungsanwälten sogenannten persönlichen Gebrauchsgegenstände zu holen. Natürlich war jedermann im Gebäude, auch dem Doorman, klar, daß Wallingford auszog.
    »Keine Bange, Mr. O'Neill«, sagte der Doorman zu Patrick. »Was die heutzutage in der Rehabilitation alles fertigkriegen ... also, das würden Sie nicht für möglich halten. Zu blöd, daß es nicht Ihre rechte Hand war - als Linkshänder wird das ganz schön hart für Sie -, aber die werden sich schon was einfallen lassen, ganz bestimmt.« »Danke, Vlade«, sagte Patrick.
    Der einhändige Journalist fühlte sich in seiner alten Wohnung schwach und desorientiert. An dem Tag, an dem er auszog, hatte Marilyn bereits begonnen, die Möbel umzustellen. Wallingford blickte immerzu über die Schulter, um zu sehen, was hinter ihm war; es war bloß eine Couch, die früher woanders gestanden hatte, aber für Patrick nahm die an ungewohnter Stelle plazierte Form alle Wesensmerkmale eines heranschleichenden Löwen an.
    »Ich denke, das Schlagen wird weniger ein Problem als der Wurf zur Platte vom Right Field aus«, sagte der Doorman mit den drei Namen. »Sie werden sich beim Schlag zurücknehmen müssen, die Ausholbewegung verkürzen, die langen Bälle seinlassen - nicht für immer, meine ich, bloß bis Sie sich an die neue Hand gewöhnt haben.« Aber es gab keine neue Hand, an die sich Wallingford gewöhnen konnte; er kam mit den Prothesen nicht zurecht. Er kam auch mit den fortgesetzten Verbalinjurien seiner Frau nicht zurecht.
    »Du warst nie sexy, jedenfalls nicht für mich«, log Marilyn. (Na und? Wunschdenken ist schließlich nicht strafbar.) »Und jetzt... na ja, mit der fehlenden Hand... bist du nichts als ein hilfloser Krüppel!« Der 24-Stunden-Nachrichtensender gab Wallingford nicht viel Zeit, sich als Moderator zu bewähren. Nicht einmal auf dem berühmten Katastrophenkanal schaffte er es, ein bedeutender Moderator zu werden. Er wechselte rasch von frühmorgens auf vormittags auf spätnachts und schließlich auf einen Sendeplatz kurz vor Morgengrauen, wo ihn, wie er vermutete, nur Nachtarbeiter und Schlaflose jemals zu sehen bekamen. Für einen Mann, der seine linke Hand an den König der Tiere verloren hat, wirkte er auf dem Bildschirm zu verhemmt. Man wollte mehr Trotz in seinem Gesicht sehen, das statt dessen eine schwächliche Demut, eine Aura von matter Hinnahme ausstrahlte. Er war zwar nie ein schlechter Mensch, nur ein schlechter Ehemann, gewesen, doch man empfand ihn in seiner Einhändigkeit als jemanden, der sich selbst bemitleidete, und das kennzeichnete ihn als den Typus des stillen Märtyrers. Zwar schadete ihm der weidwunde Gesichtsausdruck bei Frauen kaum, aber es gab mittlerweile nur noch andere Frauen in seinem Leben. Und als seine Scheidung geregelt war, fanden seine Produzenten, daß sie ihm genügend Möglichkeiten als Moderator eingeräumt hatten, um sich gegen spätere Vorwürfe, sie diskriminierten Behinderte, zu schützen; sie stuften ihn auf die weniger im Rampenlicht stehende Position eines Sonderkorrespondenten zurück. Schlimmer

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