Die vierte Hand
weniger über die Zukunft der Frau wußte, über die er niemals, nicht einmal jetzt, nachdachte -, hätte Wallingford so schlau sein müssen, sich nicht vorzustellen, seine Japanerfahrung nähme eine Wende zum Besseren.
Wer Patrick Wallingford in Japan kennengelernt hätte, hätte sofort gewußt, daß er genau die Sorte von penisgesteuertem Typ war, dem es ähnlich sah, daß er mit der Hand einem Löwenkäfig zu nahe kam. (Und wenn der Löwe einen Akzent gehabt hätte, hätte Wallingford sich darüber lustig gemacht.) Rückblickend war Patricks Zeit in Japan nach seiner eigenen Einschätzung ein noch deprimierenderer Tiefpunkt in seinem Leben als die Handfreßepisode in Indien. Fairerweise muß man sagen, daß Wallingford nicht der einzige Mann war, der die Podiumsdiskussion über Vergewaltigung versäumte. Die englische Volkswirtschaftlerin, deren Namen (Jane Brown) Patrick langweilig gefunden hatte, erwies sich selbst als alles andere. Sie bekam auf dem Podium einen Anfall, bestand darauf, daß während der Diskussion kein Mann anwesend sei, und erklärte, wenn Frauen ehrlich miteinander über Vergewaltigung diskutierten, dann sei dies genauso, als wären sie nackt.
Soviel bannten der Kameramann und der Tontechniker des Internationalen 24-Stunden-Kanals noch auf Film, ehe sich die englische Volkswirtschaftlerin, um ihr Argument zu unterstreichen, auszuziehen begann. Daraufhin hörte der Kameramann, ein Japaner, taktvollerweise zu filmen auf.
Ob es für die meisten Fernsehzuschauer unbedingt sehenswert gewesen wäre, Jane Brown beim Ausziehen zuzusehen, ist fraglich. Ms. Brown als matronenhaft zu bezeichnen, wäre eine Schmeichelei - sie brauchte nur anzufangen, sich auszuziehen, und schon verließen die wenigen anwesenden Männer den Saal. Es nahmen ohnehin fast keine Männer an der Tagung über ›Die Zukunft der Frau‹ teil, nur die zwei von Patrick Wallingfords Kamerateam, die zunehmend unglücklicher dreinschauenden japanischen Journalisten, die Gastgeber der Tagung waren, und natürlich Patrick selbst.
Die Gastgeber wären gekränkt gewesen, wenn sie von dem per Ferngespräch geäußerten Ansinnen des New Yorker Nachrichtenredakteurs erfahren hätten, der kein weiteres Material von der Tagung selbst wollte. Statt noch mehr von der Frauentagung wollte Dick nun, wie er sagte, »etwas, was in Kontrast dazu steht« - mit anderen Worten, etwas, was sie in Mißkredit brachte.
Das war Dick, wie er leibte und lebte, dachte Wallingford. Als der Nachrichtenredakteur nach »damit zusammenhängendem Material« fragte, meinte er in Wirklichkeit etwas, das so wenig mit der Frauentagung zusammenhing, daß es schon die Vorstellung einer Zukunft der Frau lächerlich machte.
»Wie ich höre, gibt es in Tokio eine Kinderpornoindustrie«, sagte Dick zu Patrick. »Außerdem Kinderprostituierte. Das Ganze ist relativ neu, hat man mir gesagt. Gerade erst am Entstehen - sozusagen noch ein zartes Pflänzchen.«
»Und weiter?« fragte Wallingford. Er wußte, auch das war Dick, wie er leibte und lebte. ›Die Zukunft der Frau‹ hatte den Nachrichtenredakteur nie interessiert. Die Japaner hatten Wallingford gewollt - das Löwenvideo erzielte in Japan Rekordumsätze -, und Dick hatte sich die Einladung zunutze gemacht, um den Katastrophenmann in Tokio nach Dreck buddeln zu lassen.
»Du wirst natürlich sehr achtgeben müssen, wie du die Sache anpackst«, fuhr Dick fort und wies Patrick darauf hin, daß »Rassismusanwürfe« gegen den Sender laut würden, falls sich die Japaner »auf den Schlitz getreten fühlten.«
»Hast du's mitgekriegt?« hatte Dick am Telefon gefragt. »Auf den Schlitz getreten...«
Wallingford seufzte. Dann gab er wie stets zu bedenken, daß es noch eine tiefer gehende, kompliziertere Geschichte gebe. Die Tagung über die ›Zukunft der Frau‹ war auf vier Tage terminiert, allerdings nur zu den Tagesstunden. Für abends war nichts geplant, nicht einmal Abendgesellschaften. Patrick fragte sich, warum.
Ein junge Japanerin, die sich von Wallingford ein Autogramm auf ihr Mickymaus-T-Shirt erbat, schien darüber verwundert, daß er den Grund nicht erraten hatte. Abends fanden keine Tagungsveranstaltungen statt, weil Frauen abends nach Hause zu ihren Familien »gehörten«. Wenn man versucht hätte, in Japan abends eine Frauentagung zu veranstalten, hätten nicht viele Frauen teilnehmen können.
Ob das nicht interessant sei? fragte Wallingford Dick, aber der Nachrichtenredakteur sagte ihm, das könne er
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