Die vierte Hand
tun hatte; diese war nach ihren Worten »lediglich eine Frage intelligenter Krisenantizipation in der Dritten Welt... was ich mache, kann jeder Doofe mit einem intakten Gewissen.«
Doch sosehr Wallingford die üppige Frau aus Ghana auch bewunderte, in New York mochte man sie nicht. »Zu dick«, sagte Dick zu Patrick. »Die Schwarzen werden denken, wir machen uns über sie lustig.« »Aber wir haben sie doch nicht dick gemacht!« protestierte Patrick. »Das Entscheidende ist, sie ist klug - sie hat wirklich etwas zu sagen!« »Du wirst doch wohl noch jemand anders auftreiben können, der etwas zu sagen hat, oder? Herr des Himmels, finde jemand Klugen, der normal aussieht!« Doch das war, wie Wallingford auf der Tagung über die ›Zukunft der Frau‹ in Tokio feststellen mußte, äußerst schwierig - wenn man berücksichtigte, daß Dick mit »normal« zweifellos nicht dick, nicht schwarz und keine Japanerin meinte.
Patrick warf einen Blick auf die chinesische Genetikerin, die einen stark hervortretenden, haarigen Leberfleck mitten auf der Stirn hatte; er machte erst gar nicht den Versuch, sie zu interviewen. Er konnte förmlich hören, was Dick in New York über sie sagen würde. »Von wegen sich über Leute lustig machen - Herr des Himmels! Da könnten wir ja gleich die chinesische Botschaft in irgendeinem Scheißland bombardieren und versuchen, das als Unfall hinzustellen, oder so was!« Also sprach Patrick mit der koreanischen Fachärztin für Infektionskrankheiten. Er fand die Frau irgendwie niedlich, aber sie erwies sich als kamerascheu, was sich dergestalt äußerte, daß sie zwanghaft auf seinen Stumpf starrte. Außerdem konnte sie keine einzige Infektionskrankheit nennen, ohne zu stottern; bei der bloßen Erwähnung einer Krankheit schien sie das Grauen zu packen.
Was die russische Regisseurin angeht - »Kein Aas kennt ihre Filme«, sagte der Nachrichtenredakteur in New York zu Wallingford -, so war Ludmilla (belassen wir es dabei) potthäßlich. Außerdem wollte sie sich, wie Patrick eines Morgens um zwei Uhr feststellte, als sie in sein Hotelzimmer kam, absetzen. Aber nicht nach Japan. Sie wollte, daß Wallingford sie nach New York schmuggelte. Worin? fragte sich Wallingford. Etwa in seiner Reisetasche, die mittlerweile dauerhaft nach philippinischer Hundepisse stank?
Ein russischer Flüchtling war jedenfalls eine Nachricht, sogar in New York. Was machte es schon, daß kein Mensch ihre Filme kannte? »Sie will nach Sundance«, sagte Patrick zu Dick. »Herrgott noch mal, Dick, sie will sich absetzen! Das ist eine Geschichte!« (Kein vernünftiger Nachrichtensender würde eine Geschichte über einen russischen Flüchtling ablehnen.)
Aber Dick war unbeeindruckt. »Wir haben gerade fünf Minuten über einen kubanischen Flüchtling gebracht, Pat.«
»Meinst du etwa diesen unfähigen Baseballspieler?« fragte Wallingford. »Er ist ein halbwegs brauchbarer Shortstop, und schlagen kann er auch«, sagte Dick, und damit hatte es sich.
Als nächstes holte er sich einen Korb von der grünäugigen dänischen Romanautorin; sie erwies sich als zickige Schriftstellerin, die sich von niemandem interviewen ließ, der nicht ihre Bücher gelesen hatte. Wofür hielt sie sich eigentlich? Wallingford fehlte die Zeit, ihre Bücher zu lesen! Immerhin hatte er, was die Aussprache ihres Namens anging, richtig gelegen - sie lautete »Bo-diehl«, mit Betonung auf der zweiten Silbe. Die allzu zahlreichen japanischen Vertreterinnen der schönen Künste waren ganz wild darauf, mit ihm zu reden, und wenn sie mit ihm redeten, berührten sie gern mitfühlend seinen linken Unterarm knapp über der Stelle, wo er seine Hand verloren hatte. Aber der Nachrichtenredakteur in New York hatte »von den Künsten die Schnauze voll«. Außerdem behauptete Dick, die Japanerinnen würden den Zuschauern den falschen Eindruck vermitteln, an der Tagung hätten nur Japanerinnen teilgenommen.
»Seit wann machen wir uns Sorgen darum, daß wir unseren Zuschauern einen falschen Eindruck vermitteln?« brachte Patrick den Mut auf zu fragen.
»Hör zu, Pat«, sagte Dick, »diese Dichterin da, die Böse mit der Tätowierung im Gesicht, würde sogar anderen Dichtern die Stimmung vermiesen.«
Wallingford war schon zu lange in Japan. Weil er so daran gewöhnt war, daß die Leute seine Muttersprache falsch aussprachen, verstand er nun auch seinen Nachrichtenredakteur falsch. Er hörte nicht »die Böse«, sondern »die Möse«.
»Nein, jetzt hörst du zu,
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