Die vierte Hand
Dick«, erwiderte Wallingford in einem Ton, der so gar nicht seiner gewohnt liebenswürdigen Art entsprach. »Ich bin keine Frau, aber sogar ich störe mich an diesem Wort.«
»An welchem Wort?« fragte Dick. »Tätowierung?« »Du weißt ganz genau, an welchem Wort!« blaffte Patrick. »Möse!« »Ich habe ›Böse‹ gesagt, nicht ›Möse‹, Pat«, teilte der Nachrichtenredakteur ihm mit. »Wahrscheinlich hörst du einfach, woran du die ganze Zeit denkst.«
Patrick blieb keine andere Wahl. Er mußte Jane Brown interviewen, die englische Volkswirtschaftlerin, die gedroht hatte, sich auszuziehen, oder er mußte mit Evelyn Arbuthnot reden, der vermeintlichen Lesbe, die ihn nicht ausstehen konnte und sich dafür schämte, daß sie sich - wenn auch nur für einen Moment - zu ihm hingezogen gefühlt hatte. Die englische Volkswirtschaftlerin war eine Spinnerin von ausgeprägt englischem Typus. Das spielte keine Rolle - Amerikaner haben eine Schwäche für englischen Akzent. Jane Brown kreischte wie ein unbeaufsichtigter Wasserkessel, aber nicht über die Weltwirtschaft, sondern über ihre Drohung, sich vor Männern auszuziehen. »Ich weiß aus Erfahrung, daß die Männer es niemals zulassen werden, daß ich mich ganz ausziehe«, sagte sie vor laufender Kamera zu Patrick Wallingford, in jener übertrieben artikulierenden Sprechweise, wie sie englische Charakterdarstellerinnen eines bestimmten Alters und einer bestimmten Herkunft auf der Bühne an den Tag legen. »Ich komme nicht einmal bis zur Unterwäsche, da sind die Männer schon aus dem Saal geflüchtet - das passiert jedesmal! Männer sind ausgesprochen verläßlich. Damit meine ich lediglich, daß man sich darauf verlassen kann, daß sie vor mir flüchten!«
Dick in New York war begeistert. Er sagte, das Interview mit Jane Brown »kontrastiere sehr hübsch« mit dem anderen Material vom ersten Tagungstag, an dem sie beim Thema Vergewaltigung einen Anfall gekriegt hatte. Der internationale 24-Stunden-Kanal hatte seine Geschichte. Man berichtete über die Tagung zur ›Zukunft der Frau‹ in Tokio - besser gesagt, man berichtete nach Art des Nachrichtensenders darüber, das heißt, man drängte nicht nur Patrick Wallingford, sondern auch die Nachricht selbst völlig in den Hintergrund. Eine Frauentagung in Japan wurde auf eine Meldung darüber reduziert, wie eine theatralische englische Matrone während einer Podiumsdiskussion über Vergewaltigung damit gedroht hatte, sich auszuziehen - und das ausgerechnet in Tokio. »Na, war das nicht entzückend?« fragte Evelyn Arbuthnot, nachdem sie den anderthalb Minuten langen Bericht in ihrem Hotelzimmer im Fernsehen gesehen hatte. Sie war noch in Tokio - es war der letzte Tagungstag. Wallingfords Schmuddelsender hatte nicht einmal abgewartet, bis die Tagung vorbei war.
Patrick lag noch im Bett, als Ms. Arbuthnot ihn anrief. »Tut mil leid«, war alles, was Wallingford herausbrachte. »Ich bin nicht der Nachrichtenredakteur, ich bin bloß Sonderkorrespondent.«
»Sie haben nur Befehle befolgt - wollen Sie das damit sagen?« fragte Ms. Arbuthnot.
Gegen Evelyn Arbuthnot kam Patrick nicht an, zumal er sich noch nicht von einer Sause mit seinen japanischen Gastgebern erholt hatte. Er hatte den Eindruck, daß sogar seine Seele nach Sake roch. Außerdem konnte er sich nicht erinnern, wer von seinen japanischen Lieblingsjournalisten ihm zwei Rückfahrkarten für den Hochgeschwindigkeitszug nach Kioto geschenkt hatte - den »Superexpreß«, wie entweder Yoshi oder Fumi ihn genannt hatten. Ein Besuch in einem traditionellen Gasthaus könne sehr erholsam sein, hatten sie ihm gesagt; daran erinnerte er sich noch. »Aber fahren Sie lieber nicht am Wochenende.« Diesen Rat vergaß Wallingford leider.
Ah, Kioto - Stadt der Tempel, Stadt des Gebets. Ein etwas meditativerer Ort als Tokio würde Wallingford in der Tat ungemein guttun. Höchste Zeit, daß er mal ein bißchen meditierte, erklärte er Evelyn Arbuthnot, die nicht aufhörte, ihm wegen der peinlichen Berichterstattung seines »miesen Nicht-Nachrichtensenders« über die Frauentagung den Kopf zu waschen.
»Ich weiß, ich weiß ...«, wiederholte Patrick immerzu. (Was hätte er sonst sagen sollen?)
»Und jetzt fahren Sie nach Kioto? Wozu? Zum Beten? Wofür wollen Sie eigentlich beten?« fragte sie ihn. »Daß Ihr Katastrophen- und Quatschnachrichtensender auf möglichst demütigende Art und Weise eingeht - dafür würde ich beten!«
»Ich hoffe immer noch, daß ich in
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