Die vierte Hand
diesem Land vielleicht doch etwas Schönes erlebe«, erwiderte Wallingford mit soviel Würde, wie er aufbringen konnte, was nicht sehr viel war.
An Evelyn Arbuthnots Ende der Leitung trat gedankenvolles Schweigen ein. Patrick vermutete, daß sie dabei war, eine alte Idee neu zu überdenken.
»Sie wollen in Japan etwas Schönes erleben?« fragte Ms. Arbuthnot. »Tja... Sie können mich nach Kioto mitnehmen. Dann zeige ich Ihnen was Schönes.«
Er war immerhin Patrick Wallingford. Er sagte nicht nein. Er tat, was Frauen wollten; er tat überhaupt meistens, was man ihm sagte. Dabei hatte er gedacht, Evelyn Arbuthnot wäre eine Lesbe! Er war verwirrt. »Ah ... ich dachte ... ich meine, aus Ihrer Bemerkung über diese dänische Autorin habe ich geschlossen... daß Sie, na ja, schwul sind, Ms. Arbuthnot.«
»Das ist eine Masche, die ich ständig abziehe«, sagte sie. »Ich hätte nicht gedacht, daß Sie darauf hereinfallen.« »Aha«, meinte Wallingford.
»Ich bin nicht schwul, aber ich bin so alt, daß ich Ihre Mutter sein könnte. Wenn Sie es sich also überlegen und mich später zurückrufen wollen, bin ich Ihnen nicht böse.«
»Also, daß Sie meine Mutter sein könnten, glaube ich nicht -« »Biologisch gesehen, könnte ich das sehr wohl sein«, sagte Ms. Arbuthnot. »Ich hätte Sie mit sechzehn bekommen können - ich habe damals übrigens wie achtzehn ausgesehen. Wie gut sind Sie im Rechnen?«
»Sie sind in den Fünfzigern?« fragte er sie.
»So ungefähr«, sagte sie. »Und heute kann ich noch nicht nach Kioto fahren. Ich werde den letzten Tag dieser jämmerlichen, aber gutgemeinten Tagung nicht schwänzen. Wenn Sie bis morgen warten können, fahre ich übers Wochenende mit Ihnen nach Kioto.« »Okay«, stimmte Wallingford zu. Er sagte ihr nicht, daß er bereits zwei Karten für den »Superexpreß« hatte. Er konnte den Hotelportier bitten, seine Reservierungen für den Zug und das Gasthaus zu ändern. »Sind Sie auch sicher, daß Sie das wollen?« fragte Evelyn Arbuthnot. Sie selbst hörte sich nicht allzu sicher an.
»Ja. Ich bin sicher. Ich mag Sie«, sagte Wallingford. »Auch wenn ich selber ein Arschloch bin.«
»Seien Sie deswegen nicht allzu streng mit sich«, antwortete sie. Nie war ihre Stimme einem erotischen Schnurren näher gekommen. Was Geschwindigkeit anging - und vor allem im Hinblick darauf, wie rasch sie ihre Meinung ändern konnte -, war Evelyn selbst so etwas wie ein Superexpreß. Patrick kamen allmählich Zweifel, ob er mit ihr überhaupt irgendwohin fahren sollte.
Es war, als hätte sie seine Gedanken gelesen. »Ich bin nicht allzu anspruchsvoll«, sagte sie unvermittelt. »Außerdem brauchen Sie auch Erfahrungen mit einer Frau meines Alters. Eines Tages, wenn Sie in den Siebzigern sind, werden Frauen meines Alters das Jüngste sein, was Sie kriegen können.«
Während Wallingford für den Rest dieses Tages und der Nacht darauf wartete, mit Evelyn Arbuthnot den Superexpreß nach Kioto besteigen zu können, ließ sein Kater allmählich nach. Als er zu Bett ging, schmeckte er den Sake nur noch beim Gähnen.
Schön und klar dämmerte der nächste Tag im Land der aufgehenden Sonne - eine falsche Verheißung, wie sich zeigen sollte. Wallingford teilte sich den über dreihundert Stundenkilometer schnellen Zug mit einer Frau, die so alt war, daß sie seine Mutter hätte sein können, und ungefähr fünfhundert kreischenden Schulkindern, allesamt Mädchen, weil man - soweit Patrick und Evelyn das gewundene Englisch des Schaffners verstanden - etwas beging, was Nationales Gebetswochenende für Mädchen hieß, und weil, so schien es jedenfalls, sämtliche Schülerinnen Japans nach Kioto unterwegs waren.
Es regnete das ganze Wochenende über. Kioto war von betenden japanischen Schülerinnen überlaufen. Bestimmt beteten sie wenigstens zeitweise, während die Stadt von ihnen überlaufen war, obwohl Patrick und Evelyn sie nie dabei sahen. Wenn sie nicht beteten, taten sie, was Schülerinnen überall tun. Sie lachten, sie kreischten, sie brachen in hysterisches Schluchzen aus - alles ohne ersichtlichen Grund. »Die verflixten Hormone«, sagte Evelyn, als wüßte sie Bescheid. Außerdem spielten die Schülerinnen die denkbar schlimmste westliche Musik und nahmen unentwegt Bäder - so viele Bäder, daß dem traditionellen Gasthaus, in dem Wallingford und Evelyn Arbuthnot wohnten, wiederholt das heiße Wasser ausging.
»Zu viele Mädchen nicht beten!« entschuldigte sich der Gastwirt bei Patrick
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