Die vierte Todsuende
hübsch säuberlich geordnet. Zeit für ein Sandwich.
Ein Blick in den Kühlschrank belehrte ihn über die Möglichkeiten: ein steinhartes Brötchen, das immerhin getoastet werden konnte, etliche Scheiben Schweinebraten, ein Rest Kartoffelsalat, frische Zwiebeln, etwas Rettich.
Über das Spülbecken gebeugt, verzehrte er dieses Potpourri und war sich sehr wohl bewusst, dass seine Frau bei diesem Anblick in die Luft gegangen wäre, aber sie war ja zum Glück nicht daheim. Heute war ihr Krankenhaustag; sie half einmal in der Woche unentgeltlich dort aus. Wegen seiner Sandwichsucht nörgelte sie oft genug an ihm herum, aber recht hatte sie ja damit, er wurde allmählich zu dick. Dass der Earl of Sandwich einer der großen Pioniere der Zivilisation gewesen ist, war ihr nur schwer beizubringen.
Wieder im Arbeitszimmer, betrachtete er versonnen den Stapel Papier, der den Fall Ellerbee darstellte. Dabei beschlich ihn die unwillkommene Ahnung, dieser Fall könnte sich zu einem entwickeln, den er einen Fall ›mit lauter losen Enden‹ zu nennen pflegte, worunter er verstand, dass die Ermittlungen nichts Handfestes ergaben, nichts, woran man sich halten konnte. Lauter Verdächtige, zahllose Alibis, niemand, der ja sagte oder nein.
Auch mit solch einer Konfusion musste man sich abfinden, es galt, das Unbedeutende vom Wichtigen zu unterscheiden und sich ganz auf dieses zu konzentrieren. Aber wie soll man das machen? Spuren, die nirgendwohin führten, Zeit vertan mit der Suche nach Anhaltspunkten, die sich in Luft auflösten. Unterdessen zählte Thorsen darauf, bis zu den Feiertagen den Mord aufgeklärt zu haben, weil er seinen Kandidaten endlich befördert sehen wollte.
Zwei Sorten unidentifizierter Fußspuren, zwei Schläge auf die Augen des Ermordeten. Hatte das nun etwas zu bedeuten oder nicht? Hatte es etwas zu bedeuten, dass Ellerbee seiner Frau gesagt hatte, er erwarte einen späten Patienten, was wohl nach 18 Uhr hieß, dass er aber erst gegen 21 Uhr umgebracht worden war? Hätte er wohl so lange auf einen späten Patienten gewartet? Jemanden, der so gegen 20 Uhr gekommen sein mochte?
Die Haustür war nicht gewaltsam geöffnet worden, Ellerbee hatte also den Besucher selbst eingelassen, jemanden, den er erwartete. War das nun eine Person, oder waren es etwa doch zwei? Und warum hatten die dann die Haustür offengelassen, statt sie hinter sich zuzuziehen?
»Es war der Gärtner«, gab Delaney sich die klassische Antwort, zog seinen Block heran, setzte die Lesebrille auf und notierte, was alles er nicht wusste. Das war eine lange, niederschmetternde Liste. Er stierte darauf und hatte das unbehagliche Gefühl, etwas zu übersehen, das offenkundig war.
Ihm fiel ein Fall ein, den er Vorjahren bearbeitet hatte: In der Amsterdam Avenue hatten sich mehrere Raubüberfälle ereignet, im Laufe von zwei Monaten waren sechs kleinere Läden ausgeraubt worden. Es schien, dass in allen Fällen der gleiche Täter am Werk gewesen war, ein Halbstarker mit Fu-Manchu-Schnurrbart, der mit einer vernickelten Pistole herumfuchtelte.
Unter den angeblich ausgeraubten Läden befand sich einer unweit der 78. Straße, ein typischer Tante-Emma-Laden, betrieben von einem ältlichen Ehepaar, das hinter dem Laden wohnte. Die Frau öffnete regelmäßig um 7 Uhr 30, und der Mann, der eine Schwäche für Slibowitz hatte, gesellte sich etwa eine halbe Stunde später zu ihr. Der Mann sagte aus, am fraglichen Tag habe seine Frau wie stets pünktlich aufgemacht. Während er sich angezogen habe, habe er einen Schuss gehört, sei in den Laden gelaufen und habe seine Frau hinter der Theke liegend gefunden. Die Kasse habe offen gestanden und es hätten so um die 30 Dollar in Scheinen und Münzen gefehlt.
Die alte Frau war tot, ein Geschoß aus einer Pistole vom Kaliber 38 steckte in ihrer Brust. Delaney und sein Kollege, ein Kriminalanwärter namens Loren Pierce, schrieben die Tat auf das Konto des Halbstarken mit der Nickelpistole. Eine gründliche Überwachung der gefährdeten Läden konnten sie zwar nicht vornehmen, aber immerhin durchstreiften sie auch in ihrer freien Zeit in Zivil die Gegend auf der Suche nach dem Bürschchen mit dem Schnurrbart.
Schließlich hatten sie Glück. Der Räuber hatte sich einen Delikatessenladen vorgenommen und ahnte nicht, dass der Sohn des Inhabers für ihn unsichtbar, hinter einem Stapel Kartons stehend, Waren einsortierte. Der junge Mann versetzte dem Räuber mit einer schweren Konservendose einen Schlag auf den
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