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Die vierte Todsuende

Die vierte Todsuende

Titel: Die vierte Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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einschlafen. In diesen Sesseln rutschen sie unentwegt herum, und ich halte das für eine recht produktive Maßnahme.«
    Boone drückte ihr sein und Delaneys Beileid zum Tode ihres Mannes aus, den er »eine bedeutende Persönlichkeit, nach allem, was wir jetzt von ihm wissen« nannte.
    »Ich danke Ihnen«, sagte sie, hinter ihrem Schreibtisch förmlich thronend. »Ich schätze Ihr Mitgefühl. Noch mehr würde ich es schätzen, wenn Sie den Täter fänden.«
    Delaney betrachtete derweil verstohlen das Sprechzimmer, das ihm ein nicht nur perfekt aufgeräumter, sondern geradezu steriler Raum zu sein schien. Die Wände in gebrochenem Weiß gehalten, der Teppich in hellem Beige. Ein geflochtener Korb beherbergte ein Feigenbäumchen, das künstlich wirkte, und einzig zwei gerahmte Rorschachtest-Bilder an einer Wand dienten zur Dekoration. Sie sahen ziemlich japanisch aus.
    Boone fuhr derweil fort: »Wir haben das Protokoll Ihrer Aussage vor der Polizei mehrfach sorgsam gelesen, Madam, brauchen also nicht noch einmal von vorn zu beginnen, nur möchte ich sagen, dass Zeugen nach einem solchen Schock manchmal erst Tage, ja Wochen später sich noch an manches erinnern, dass sie schon vergessen hatten. Es wäre also sehr liebenswürdig von Ihnen, wenn Sie, falls Ihnen noch etwas Neues eingefallen ist oder einfallen sollte, uns das mitteilen würden.«
    »Ich möchte doch hoffen, dass es nicht wochenlang dauert, bis Sie den Mörder meines Mannes finden?«
    Beide Männer betrachteten sie ungerührt, und sie reagierte mit einem freudlosen Lachen.
    »Ich weiß schon«, fuhr sie dann fort, »dass ich mich bei Ihnen unbeliebt gemacht habe, und Henry ebenfalls. Ich meine meinen Schwiegervater, Henry Ellerbee. Ich bin offenbar außerstande, meinen Zorn zu beherrschen. Dabei habe ich, seit ich diesen Beruf ausübe, nichts anderes getan, als meine Patienten darin zu beraten, wie man die Ungerechtigkeiten dieser Welt mit Fassung erträgt, aber nun, da ich selbst davon betroffen bin, fällt es mir schwer, meinem eigenen Rat zu folgen. Dieses Erlebnis hat womöglich zur Folge, dass ich eine bessere Therapeutin werde. Ich sage Ihnen aber ehrlich, dass ich im Moment hauptsächlich wütend bin und den Wunsch verspüre, mich zu rächen — so etwas geschieht mir zum ersten Mal, und es scheint, als könnte ich diese Gefühle nicht beherrschen.«
    »Das ist durchaus begreiflich, Madam«, sagte Boone. »Und Sie dürfen mir glauben, dass wir ebenso interessiert daran sind, den Mörder zu finden, wie Sie. Deshalb haben wir Sie um dieses Gespräch gebeten, in der Hoffnung nämlich, wir könnten etwas von Ihnen erfahren, das uns bei unseren Ermittlungen weiterhelfen könnte. Fällt es Ihnen schwer, über Ihren Mann zu sprechen?«
    »Durchaus nicht. Ich werde den Rest meines Lebens an Simon denken und von ihm sprechen.«
    »Was war er für ein Mensch?«
    »Ein sehr hochstehender Mensch. Gütig, taktvoll, von großem Mitgefühl für leidende Menschen. Ich glaube, alle Kollegen, die ihn kennengelernt haben, erkannten seine Gaben an. Außerdem war er ein sehr scharfer Denker. Er verstand es, sich dem Kern psychischer Probleme so rasch zu nähern, dass manche Kollegen ihm eine schier übernatürliche Intuition zubilligten.«
    Delaney hörte nicht nur zu, er musterte Mrs. Ellerbee auch genau. Thorsen und Monica hatten schon recht: diese Mrs. Ellerbee war eine ausgesprochene Schönheit. Das Profil war schemenhaft, das Blau der Augen schien mit ihrem jeweiligen Gemütszustand eine andere Schattierung anzunehmen. Der Blick war direkt, herausfordernd, der Teint wie Porzellan, der Mund generös, wie gemacht, um zu lächeln und zu küssen.
    Sie trug ein streng geschnittenes Nadelstreifenkostüm, doch verbarg das nicht ihre Formen, und ihre Bewegungen wirkten fließend.
    Beunruhigend, fast beängstigend war das Vollkommene der ganzen Komposition. Walküre ist falsch, stellte Delaney fest, eher eine Plastik von Brancusi, welche das Auge mit ihrer Heiterkeit bezauberte, mit Form und Oberfläche beglückt. ›Wunderbar‹ fiel ihm dazu ein, und er dachte dabei wirklich an ein Wunder. Etwas Übernatürliches.
    »Verstehen Sie mich nicht falsch«, sagte sie soeben und starrte auf den Kugelschreiber, mit dem sie spielte. »Ich will Simon nicht als den Inbegriff der Perfektion hinstellen. Das war er keineswegs. Er hatte Launen. Manchmal redete er kaum. Hin und wieder war er jähzornig. Aber meist war er doch ein sonniger, milder Mensch. Deprimiert war er eigentlich nur,

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