Die vierte Todsuende
vertraulich, Doktor, davon weiß noch niemand, weil wir den Tatbestand bislang verheimlicht haben: Nachdem Ellerbee schon tot war, hat der Mörder ihn umgedreht und beide Augen mit einem Treibhammer verstümmelt. Einem meiner Assistenten ist dazu eingefallen, dass dies geschehen sein könnte, weil Ellerbee zu viel sah oder gesehen hatte. Könnte da was dran sein?«
»Keine schlechte Beobachtung. Und durchaus möglich«, stimmte Waiden zu. »Meiner Meinung nach greifen beinahe nur totale Psychopathen ihren Analytiker an, es kommt zu solchen Vorfällen aber meist eigentlich nur in geschlossenen Heilanstalten. Andererseits passiert es gelegentlich auch sehr teuren Analytikern, mit Patienten aus den feinsten Kreisen. Schlimmer noch, hin und wieder werden auch die Angehörigen des Therapeuten bedroht.«
Delaney dachte ein Weilchen nach. »Könnte man so was in Zahlen ausdrücken? Ich meine, wie viel Prozent der Therapeuten werden tätlich angegriffen?«
»Das kann ich nur schätzen. Sagen wir, ein Viertel.«
»Ist Ihnen selber so was mal passiert?«
»Einmal. Ein Mann bedrohte mich mit einem Jagdmesser.«
»Und was machen Sie in solch einem Fall?«
»Ich habe eine Pistole. Sie würden sich wundern, wenn Sie wüssten, wie viele Psychiater eine Waffe haben. Gemeinhin nützt geduldiges, gutes Zureden, aber eben nicht immer.«
»Weshalb hat der Kerl Sie mit dem Messer bedroht?«
»Wir waren in der Therapie auf den kritischen Punkt gestoßen. Der Bursche war scharf auf seine 15jährige Tochter und konnte oder wollte sich das nicht eingestehen. Dabei nahm er ihre Kleider zu Prostituierten mit und ließ sie von denen tragen. Ein bedauerlicher Fall.«
»Und hat er es dann am Ende zugegeben?« fragte Delaney fasziniert.
»Am Ende schon. Ich war der Meinung, er würde sehr gute Fortschritte machen. Aber etwa drei Wochen später hat er sich dann eine Schrotladung in den Schädel geschossen. Ich denke ungern an diesen Fall.«
Delaney war verblüfft. »Lieber Himmel, wie halten Sie so was aus?«
»Tja, wie? Wie hält man es aus, täglich Herzoperationen zu machen? Man greift zum Messer, hofft und betet. Übrigens fällt mir noch ein weiterer Grund ein, weshalb Patienten ihren Therapeuten angreifen. Dabei geht es um die sogenannte Übertragung. Nehmen wir an, der Patient wurde als Kind misshandelt oder hasst seine Eltern aus anderen Gründen. Er überträgt dann diesen Hass auf den Therapeuten, der ihn zwingt, sein Seelenleben aufzudecken und darüber zu sprechen. Auch umgekehrt ist denkbar, dass der Patient sich mit dem aggressiven Elternteil identifiziert und versucht, den Therapeuten wie ein hilfloses Kind zu behandeln. Es gibt, wie gesagt, mehrere Gründe, die ein solches Verhalten des Patienten verursachen können. Und damit Ihre Verwirrung komplett wird, füge ich hinzu, dass es Fälle gibt, die absolut unerklärlich bleiben.«
»Für mich ist das Wichtigste die Auskunft, dass Gewalttaten seitens der Patienten durchaus vorkommen, und dass Ellerbee sehr wohl von einem seiner Patienten umgebracht worden sein kann.«
»Durchaus möglich.«
Delaney sah den Arzt auf seine Uhr blicken und fügte rasch an: »Ich will Sie warnen, Doktor. Sollte ich Ihren Rat noch mal brauchen, werde ich Sie schamlos belästigen.«
»Jederzeit, solange Sie mir ein Steak dafür spendieren«, stimmte Waiden zu, und sie standen auf und verabschiedeten sich.
»Herzlichen Dank«, sagte Delaney, »Sie haben mir sehr geholfen.«
»So? Meinen Sie?« Waiden strich über seine Glatze. »Ich muss Ihnen aber zur Vorsicht raten. Falls Sie vorhaben, Ellerbees Patienten zu befragen, tun Sie es sehr behutsam. Vermeiden Sie Jedes laute Wort. Und vor allem: keine Drohungen. Die Leute fühlen sich bedroht genug, auch ohne noch von Fremden eingeschüchtert zu werden.«
»Ich werde es mir merken.«
»Andererseits«, setzte Waiden nachdenklich hinzu, »gibt es auch solche, mit denen Sie gar nicht scharf genug umspringen können, um Erfolg zu haben.«
»Herr im Himmel«, rief Delaney verzweifelt, »gibt es denn in diesem Geschäft überhaupt keine Gewissheiten?«
»Ganz gewiss nicht.«
7
»Sie fangen an Jason«, befahl Delaney, als die drei Männer sich in seinem Arbeitszimmer versammelt hatten. Der Schwarze blätterte die Seiten seines Notizblockes um, auf der Suche nach dem Anfang.
»Die Witwe ist sauber, was die Telefongespräche aus Brewster betrifft. Sie hat zur angegebenen Zeit die beiden Ferngespräche nach Manhattan geführt. Das geht aus den
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