Die vierte Todsuende
Brett, eine sogenannte Planchette, sich unter Sylvia Othertons Fingerspitzen bewegte, nicht gleichmäßig, sondern ruckhaft. Es dauerte lange, doch Buchstabe für Buchstabe bildete sich das Wort ›blind‹.
Otherton machte die Augen auf. »Was hat es gesagt?«
»Blind«, sagte Estrella, »es hat ›blind‹ buchstabiert.«
»Und was soll das heißen?«
»Ich weiß nicht.«
»Der Täter kann doch nicht ein Blinder gewesen sein?«
»Wohl kaum.«
»Wir könnten es noch mal versuchen«, schlug sie vor.
»Nächstes Mal vielleicht. Ich muss jetzt gehen.«
»Sie kommen wieder?«
»Selbstverständlich. Nur habe ich noch anderes zu erledigen.«
Er ließ sich von ihr die Namen der wenigen Bekannten geben, die hin und wieder bei ihr anriefen, und auch die Namen der Händler, die sie mit Lebensmitteln und Medikamenten belieferten. Dann bedankte er sich.
Sie stellte sich auf die Zehen und küsste ihn auf die Wange. »Ich muss mich bei Ihnen bedanken, Brian«, hauchte sie.
Im Fahrstuhl nach unten überlegte er, ob er die Episode mit dem Ouija-Brett in seinen Bericht aufnehmen sollte, und entschied sich schließlich dafür. Delaney hatte gesagt, er wolle alles wissen.
Und ›alles‹ war genau das, was Delaney in seinen Tagesberichten serviert bekam. Das stellte ihn zufrieden; lieber zu viel als nicht genug. Das meiste war unbrauchbar, aber hin und wieder fand sich durchaus Nützliches. Zum Beispiel: Calazo meldete, Kane habe zwar ausgesagt, am fraglichen Abend das Gemeindezentrum um 21 Uhr verlassen zu haben, gab aber auf Befragen zu, nicht sogleich nach Hause gegangen zu sein. Wo er gewesen war, konnte oder wollte er allerdings nicht sagen.
L. Vincent Symington war polizeibekannt, wie Konigsbacher feststellte. Vor einigen Jahren war er in einem Homosexuellenclub auf der 18. Straße bei einer Razzia festgenommen worden. Ob Anklage erhoben worden war, wusste der Computer nicht.
Hogan hatte sich mit etlichen Arbeitern der Fleischgroßhandlung bekannt gemacht, deren Geschäftsführer Ronald Bellsey war, und herausbekommen, dass dieser vor einem halben Jahr mit einem Arbeiter schwer aneinandergeraten war; beide waren mit Fleischerhaken aufeinander losgegangen, und Bellsey hatte seinen Widersacher erheblich verletzt. Dieser hatte ihn auf Schmerzensgeld verklagt, doch war es zu einem außergerichtlichen Vergleich gekommen.
Die Beamtin Venable meldete, dass Joan Yesell sich bei ihrem Selbstmordversuch schwerer verletzt habe als zunächst angenommen; die Sehnen am linken Handgelenk waren durchtrennt und hatten genäht werden müssen; sie würde während der kommenden vier Wochen nicht arbeitsfähig sein.
Keisman erfuhr, dass Gerber mehrmals wegen Schlägereien festgenommen worden war, ferner wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt und Erregung öffentlichen Ärgernisses. Anklage wurde mit Rücksicht auf seine Auszeichnungen in Vietnam nicht erhoben. Immerhin war Gerber nur mit Einschränkungen ehrenhaft aus der Armee entlassen worden, weil er sich einiges hatte zuschulden kommen lassen, darunter einen tätlichen Angriff auf einen Vorgesetzten.
Blieb noch der Bericht von Estrella, der den Versuch mit dem Ouija-Brett beschrieb; Delaney erzählte seiner Frau davon, weil er das für lustig hielt, doch musste er zu seiner Verblüffung bemerken, dass die sonst so nüchterne Monica keineswegs darüber lachte.
Alles in allem war Delaney zufrieden. Es schien ihm, dass die Ermittlungen endlich in Schwung kamen. Er fühlte sich wie ein Archäologe bei einer Ausgrabung: jede abgetragene Schicht brachte ihn der Wahrheit näher.
Konigsbacher glaubte Symington zu durchschauen. Der Bursche war offenkundig schwul. Nicht nur wegen des Besuches in jenem Club war der Detektiv davon überzeugt, sondern seine Beobachtungen an Ort und Stelle schienen eindeutig: Die Art, wie Symington sich kleidete, wie er sich bewegte, ja, wie er eine Zigarette hielt, schienen ihm klare Indizien zu sein.
Jeder Detektiv entwickelt im Laufe der Zeit seinen eigenen Arbeitsstil, und Konigsbacher näherte sich einer verdächtigen Person wenn möglich in immer enger werdenden Kreisen. Erst wenn er überzeugt war, deren Gewohnheiten, Lebensumstände und sonstige einschlägige Details gründlich zu kennen, führte er eine Konfrontation herbei, um den Verdächtigen überrumpeln zu können.
So auch hier. Konigsbacher zog Erkundigungen über Symington beim Hausmeister ein, in der Nachbarschaft und in Läden, in denen Symington Kunde war; er befragte sogar den
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