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Die vierte Zeugin

Die vierte Zeugin

Titel: Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja u.a. Kinkel , Oliver Pötzsch , Martina André , Peter Prange , Titus Müller , Heike Koschyk , Lena Falkenhagen , Alf Leue , Caren Benedikt , Ulf Schiewe , Marlene Klaus , Katrin Burseg
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Gerlin. Geh, wohin du willst. Ich halte dich nicht. Ich werde mir bei den Huren holen, was du mir seit der Geburt unseres letzten Sohnes verweigerst. So, wie ich es seitdem immer getan habe. Dafür brauche ich dich nicht mehr.«
    Gerlin starrte ihn an. Sie wusste, wenn sie ihn jetzt in den Arm nahm, wäre alles wieder gut. Hannes Metzeler hatte sie geliebt, als sie noch Andreas Imhoffs Verlobte gewesen war, und er tat es auch heute noch. Auf seine Weise. Aber sie konnte es nicht. Er ekelte sie an.
    Wortlos griff sie nach ihrem Mantel und ging. Im Hinauslaufen stieß sie beinahe mit ihrem Ältesten, Martin, zusammen, der wohl von dem Streit erwacht war und sich nun an die Wand vor der Kammer drückte. Sie wich seinem entgeisterten Blick aus und lief weiter, ohne sich umzudrehen, doch seine Fassungslosigkeit schien ihr zu folgen. Sie würde mit ihm reden müssen, morgen, nach der Verhandlung. Wenn man sie dann noch gehen ließ.

    Kalte Nachtluft schlug ihr entgegen. Gerlin zog die Kapuze über den Kopf und eilte durch die leeren Gassen. Der Wind zerrte an ihrer Kleidung und trieb die Kälte unter den abgestoßenen Saum des Obergewandes, doch ihr Herz glühte vor Zorn. Mit großen Schritten eilte sie die Klöcker Gasse entlang, an einem schlafenden Nachtwächter vorbei, der in einem Hauseingang saß, den Kopf auf die Brust gesenkt.
    Bald erreichte sie den westlichen Stadtbezirk, umrundete die hohen Mauern der dreischiffigen Basilika St. Apostelen und lief weiter zu den Gärten nahe der Stadtmauer, die schemenhaft in eine immer dichter werdende Dunkelheit getaucht waren.
    Hier, zwischen knorrigen Eichen, Berberitzen und wintergrünen Wacholderbüschen, hatte sie sich etwas Boden zu eigen gemacht, der abseits genug lag, um vor neugierigen Blicken geschützt zu sein.
    Verborgener jedenfalls als das rote Haus in der nahen Kettengasse, in dem sie nur wenige Nächte zuvor Agnes’ Anwalt, Mathis von Homburg, hatte verschwinden sehen und ein paar Atemzüge später auch den Engländer Charman. Trieben die beiden ein eigenes Spiel abseits des Gerichtssaals? Nun galt es aufmerksam zu sein.
    Irgendwo knackte ein Zweig. Gerlin schrak zusammen und sah sich um, aber sie fand sich alleine. Rasch schlüpfte sie durch das dichte Geäst. Die Dornen der Berberitze krallten sich in ihre Kleidung, zerrten am Stoff des Beutels, bis sie den heiligen Ort betrat, der nur ihr allein gehörte, ihren
Thingplatz
. Ein kleines Stück Erde, das nun vor Nässe glänzte und bei jedem aufzuckenden Blitz wie ein silberner Teppich anmutete.
    Gerlin stellte den Beutel ab und sah sich um.
    Der kleine Steinkreis war kaum erkennbar. Er lag am Fuße einer mächtigen Eiche, zwischen aufspringenden Wurzeln tief in die Erde gepresst, und war vom Schlamm unkenntlich gemacht. Gerlin hockte sich auf den Boden und befreite die Oberflächen vom Schmutz, bis sich die Steine wie kleine, blanke Perlen aneinanderreihten. Ihrem Beutel entnahm sie zuerst etwas getrockneten Reisig und Stroh, dann eine Tonschale, die sie mit Gerste befüllte. Mit einem groben Stein fuhr sie so lange über die Körner, bis diese fein gemahlen waren, fügte einige Blätter Minze hinzu und ein wenig verdünnte Ziegenmilch aus dem Trinkschlauch.
    Feuchtkalte Luft hing schwer über Boden und Büschen. Die Kälte kroch tief in Gerlins Knochen, als sie auf Knien nach trockenen Zweigen suchte.
    Sie zitterte.
    Mit geübten Bewegungen begann sie, den Feuerstein zu schlagen, bis sich die Reisigbüschel entzündeten und kleine Flammen auf Stroh und Zweige übersprangen. Eine Weile rieb sie sich die Hände über dem Feuer, dann stellte sie die Schale mit dem Gerstenbrei in dessen Mitte, um dem Donnergott zuerst einen Teil ihrer Nahrung darzubringen, denn so verlangte es der Brauch. Doch um seinen Schutz zu erwirken, bedurfte es gewichtigerer Opfergaben.
    Gerlin griff erneut in den Beutel und beförderte einige Schmuckstücke zutage.
    Sie betrachtete den schlangenförmigen Silberring mit den eingearbeiteten Runen, den ihr der Vater geschenkt hatte. Oder sollte sie lieber den filigranen Kreuzanhänger hergeben? Welches Opfer würde Thor gefallen? Gerlin schloss für einen Moment die Augen.
    Dabei fiel ihr der Traum wieder ein, der sie Nacht für Nacht verfolgte. Es waren Dämonen, die sie bedrängten, kleine Trolle, die sie umtanzten und an ihrem Haar rissen und in hundertfachen Stimmen schrien, die Wahrheit müsse ans Licht. So, wie sie es ihrem Vater auf dem Sterbebett versprochen hatte.
    Ach, könnte sie

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