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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Angst, daß Juliette ihn beobachten könnte:
    »Habt ihr Listen der Einwohner abliefern müssen, Ali Nassif?«
    Der Pockennarbige blinzelte Gabriel mit treuherziger Tücke ins Gesicht:
    »Hoffe nichts für dich, Effendi! Auf die Reichen und Gebildeten haben sie es besonders scharf. Sie sagen, was nützt es uns, wenn die armen und fleißigen Armenier krepieren, die Effendis aber, die Geldsäcke und Advokaten bleiben weiter im Land? Du bist besonders schlecht angeschrieben. Dein Name steht obenan, Effendi. Sie haben immer wieder von dir gesprochen. Denke auch ja nicht, daß sie deine Familie schonen werden. Das haben sie sehr genau verabredet. Bis Antakje bleibt ihr zusammen. Dann aber wird man euch trennen.«
    Bagradian musterte den Saptieh beinahe vergnügt:
    »Du scheinst ja zu den Großen und Eingeweihten zu gehören. Hat dir der Müdir sein Herz geöffnet, Ali Nassif?«
    Dieser nickte feierlich:
    »Nur für dich, Herr, habe ich die viele Mühe gehabt. In den Kanzleien des Hükümets bin ich gestanden und habe um deinetwillen meine Ohren angestrengt. O Effendi, ich verdiene mir trotz deines armen Papierpfunds einen Lohn in der jenseitigen Welt. Was ist heute ein Papierpfund? Wenn sie es dir im Bazar überhaupt wechseln, so betrügen sie dich. Siehe aber, meinen Nachfolgern wird mehr gehören als hundert Goldpfund und alle Medjidjehs, die in den Dörfern zu finden sind. Dein Haus wird ihnen gehören mit allem, was darin ist. Denn du kannst nichts mitnehmen. Und deine Pferde werden ihnen gehören. Und dein Garten mit all seinen Früchten …«
    Bagradian schnitt diese blumige Aufzählung entzwei:
    »Es möge ihnen wohl bekommen!«
    Er reckte seine Gestalt hoch. Ali Nassif aber rührte sich wehmütig nicht von seinem Platz:
    »Jetzt habe ich dies alles für ein Stück Papier verkauft.«
    Um ihn los zu werden, holte Gabriel all seine Piasterstücke aus der Tasche.
     
    Als Gabriel Bagradian ins Pfarrhaus trat, erkannte er zu seiner großen Verwunderung, daß Ter Haigasun die Katastrophe schon mehrere Stunden vor Ali Nassifs Bericht in Erfahrung gebracht hatte. In dem engen Zimmer waren auch bereits Thomas Kebussjan, die sechs anderen Muchtars, zwei verehelichte Volkspriester aus den Dörfern und Pastor Nokhudian aus Bitias versammelt. Graue und wächserne Gesichter. Der Donnerschlag hatte das Gewölk des krankhaften Halbschlafes, in dem diese Leute seit Wochen herumliefen, nicht zerrissen, sondern nur noch verdichtet. Sie standen rings an die Wände gedrückt und schienen leblos aus der Mauer herauszuwachsen. Nur Ter Haigasun saß. Das zurückgelehnte Gesicht war ganz dunkel. Seine Hände aber, die ruhig vor ihm auf dem Schreibtisch lagen, flammten in einem starren Sonnenstrahl. Wenn einer etwas sagte, so flüsterte er kaum hörbar und bewegte die Lippen nicht. Auch Ter Haigasun murmelte nur, als er sich jetzt an Bagradian wandte:
    »Ich habe von diesen Muchtars hier gefordert, daß sie gleich nach ihrer Rückkehr in die Dörfer die Gemeinden zusammenrufen. Noch heute, und zwar so schnell wie möglich, soll alles, was erwachsen ist, von Wakef bis Kebussije, hier in Yoghonoluk zusammenkommen. Wir werden eine große Versammlung abhalten, in der über alle Mittel beschlossen werden soll, die zu ergreifen sind …«
    Pastor Nokhudians zittrige Stimme kam aus einem Winkel:
    »Es gibt keine Mittel, die zu ergreifen sind …«
    Der Muchtar von Bitias trat ein wenig in den Raum:
    »Ob es einen Zweck hat oder nicht, das Volk muß zusammenkommen, muß Reden hören und selbst reden. Es wird dann alles leichter.«
    Ter Haigasun hatte die Unterbrechung mit gerunzelten Brauen über sich ergehen lassen. Dann setzte er Gabriel seinen Willen weiter auseinander:
    »In dieser Versammlung sollen die Gemeinden Leute wählen, zu denen sie Vertrauen haben und welche die Führung übernehmen. Die Ordnung ist die einzige Waffe, die uns bleibt. Wenn wir auch draußen Führung und Ordnung behalten, dann werden wir vielleicht nicht sterben …«
    Bei dem Worte »draußen« hob Ter Haigasun die halbgeschlossenen Lider und sah Gabriel forschend an. Thomas Kebussjan wackelte mit dem Glatzkopf:
    »Auf dem Kirchplatz kann die Versammlung nicht gehalten werden. In der Kirche auch nicht. Da sind die Saptiehs! Da sind noch andere. Gott weiß, wer sich einschleicht, wer zuhört und uns verrät! Auch ist die Kirche für alle zu klein. Aber wo?«
    »Wo? Das ist sehr einfach!« Bagradian nahm zum erstenmal das Wort:
    »Mein Garten ist durch eine hohe

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