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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Sündenfalles, unter deren karstiger Trauer das übrige Kleinasien seufzt. Durch irgend eine kleine Ungenauigkeit in der göttlichen Weltordnung, durch die gutmütige Bestechlichkeit eines heimatliebenden Cherubs schien sich in den Revieren des Musa Dagh ein Bodensatz, ein Abstrahl, ein Nachgeschmack des Paradieses verfangen zu haben. Hier, an der syrischen Küste, und nicht etwa tief unten im Vierstromland, wohin die geographischen Bibelerklärer den Garten Eden gerne versetzen.
    Es ist selbstverständlich, daß auch die sieben Dörfer am Berge von seinem Segen ein Teil abbekommen hatten. Sie waren mit jenen elenden Siedlungen nicht zu vergleichen, denen Gabriel auf seinem Ritt durch die Ebene begegnet war. Da gab es keine Lehmhütten, die menschlichen Behausungen nicht glichen, sondern schlammigen Anschwemmungen, in die man ein schwarzes Loch gebohrt hatte zur Wohnstatt und Herdstelle für Mensch und Vieh. Die Häuser waren zumeist aus Stein erbaut. Jedes umfaßte mehrere Räume. Kleine Veranden liefen um die Mauern. Tür und Fenster blinkten sauber. Nur einige wenige Hütten aus ältester Zeit hatten nach orientalischer Sitte keine Fenster gegen die Straße zu. Soweit der scharfe Schlagschatten des Damlajik sich in das Land zeichnete, soweit herrschte diese Freundlichkeit und dieser Hochstand des Lebens. Jenseits des Schattens begann die Öde. Hier Wein, Früchte, Maulbeere, Terrasse über Terrasse, dort die Ebene mit einförmigen Mais- und Baumwollfeldern, die stellenweise die nackte Steppe wies, wie ein Bettler seine Haut durch die Lumpen. – Doch es war nicht der Segen des Berges allein. Nach einem halben Jahrhundert noch zeitigte die Energie Awetis Bagradians des Alten hier volle Frucht, die Liebe eines einzigen unternehmenden Mannes, die sich stürmisch auf diesen Heimatfleck Erde konzentriert hatte, aller Weltlockung zum Trotz. Mit erstaunten Augen sah der Enkel diese Menschen, die ihm sonderbar schön erschienen. Einige Sekunden vor seinem Näherkommen verstummten die Gruppen, wandten sich zur Straßenmitte und grüßten ihn mit lautem Abendwunsch: »Bari irikun!« Er glaubte – vielleicht wars nur Einbildung – in den Augen der Leute ein kurzes Aufleuchten wahrzunehmen, ein Lichtchen der Dankesfreude, das nicht ihm galt, sondern dem alten Segenspender. Die Frauen und Mädchen verfolgten ihn mit eingehendem Blick, während in den raschen Händen die Wirtel der Handspindeln unbeteiligt hin- und herzuckten.
    Diese Menschen hier waren ihm nicht weniger fremd als heute die Menge im Bazar. Was hatte er mit ihnen zu tun, er, der noch vor wenigen Monaten im Bois spazieren fuhr, die Vorlesungen des Philosophen Bergson besuchte, Gespräche über Bücher führte und in preziösen Kunstzeitschriften Aufsätze veröffentlichte? Und doch, eine große Beruhigung strömte von ihnen aus. Es war ihm dabei so eigen väterlich zu Mute, weil er jene drohenden Anzeichen kannte, von denen sie nichts ahnten. Er trug eine große Sorge in sich, er allein, und würde sie ihnen ersparen, so lange es nur ging. Der alte Agha Rifaat Bereket war kein Träumer, wenn er auch seinen Scharfsinn mit blumigen Sprüchen kränzte. Er hatte recht. In Yoghonoluk bleiben und abwarten. Der Musa Dagh liegt außerhalb der Welt. Selbst wenn ein Sturm käme, er wird ihn nicht erreichen.
    Wärme für seine Landsleute stieg in Gabriel Bagradian auf: Mögt ihr euch noch lange freuen, morgen, übermorgen …
    Und er grüßte sie vom Pferde herab mit einer ernsten Handbewegung.
     
    In kühler Sternenfinsternis stieg er den Parkweg zur Villa empor. Das Gehäuse der dichten Bäume umschloß ihn wie jener gute »abstrakte Zustand«, wie das »Mensch-an-sich-sein«, aus dem ihn dieser Tag gerissen hatte, um ihn den Wahn solcher Geborgenheit fühlen zu lassen. Mit der Müdigkeit wurde der angenehme Aberglaube wieder stärker. Er trat in die große Haushalle. Die alte schmiedeeiserne Laterne, die von der Höhe herabhing, erfreute mit ihrem matten Licht sein Herz. In einer unbegreiflichen Verflechtung des Bewußtseins wurde sie zu seiner Mutter. Nicht die ältere Dame, die ihn in einer charakterlosen Pariser Wohnung mit einem Kuß empfangen hatte, wenn er aus dem Gymnasium kam, – sondern jene schweigsame Milde aus Tagen, die wesenloser waren als Träume. »Hokud madagh kes kurban.« Hatte sie wirklich diese abendlichen Worte gesprochen, über sein Kinderbett gebeugt? »Möge ich für deine Seele zum Opfer werden.«
    Nur noch eine zweite Milde war aus der

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