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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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aber antwortete nicht der Eifernden, sondern der Menge, die sich um ihn drängte:
    »Ja! Es ist wahr! Christus, der Erlöser hat uns bewahrt bisher. Und wollt ihr wissen wodurch? Weil er uns durch ein großes Wunder rechtzeitig Gabriel Bagradian gesandt hat, der ein wirklicher Offizier ist und den Krieg kennt und versteht. Sonst wäre es schon längst aus mit uns. Seinem Kopf und seinem Mut haben wir es zu verdanken, wenn wir noch immer leben. Daran sollt ihr denken, nur daran und an gar nichts andres!«
    Die Wendung überzeugte einen Teil der Menge, und die kühleren Köpfe, die sich schon über die lüsterne Gehässigkeit der halbalten Weiber ärgerten, bekamen die Überhand. Die Kebussjan, die ihre Anhänger zusammenschmelzen sah, spähte um Hilfe. Schnell entdeckte sie hinter dem Rücken des Priesters ihren Gatten, der vor einer halben Stunde noch ihr moralisches Entsetzen restlos geteilt und unterstützt hatte. Sie rief ihn hochtrabend an:
    »Hier steht der Muchtar! Hört den Muchtar, der sich seit zwölf Jahren für euch plagt, hört ihn an, was er zu sagen hat!«
    Aber der so demagogisch aufgerufene Muchtar hatte gar nichts zu sagen, sondern ließ seine Frau blamiert stehen und verschwand schnell und mit leicht wackelnder Glatze hinter Ter Haigasun in der Pfarrhütte. Ringsum wagten sich schon spöttische Männerstimmen hervor:
    »Rührt lieber in eurem eigenen Schmutz! Zu wenig Arbeit haben diese Weiber. Man müßte sie einspannen.«
     
    In Ter Haigasuns Laubhütte hatte sich nur ein kleiner Kreis der Führer versammelt. Es handelte sich um einen privaten, äußerst heiklen Fall; man war deshalb aus einem kaum bewußten Feingefühl nicht in der Regierungsbaracke, sondern hier zusammengetreten. Da ein rein moralischer Gegenstand vorlag und Ter Haigasun auf moralischem Gebiet unbeschränkter Alleinherrscher war, wurden ihm ohne weitere Beratung alle Entschlüsse in dieser Sache anheimgegeben. Er wählte zwei Botschafter, Apotheker Krikor und Doktor Bedros Altouni. Der eine sollte sich zu Gonzague Maris begeben, da er ihn ja beherbergt und gewissermaßen in die Welt von Yoghonoluk eingeführt hatte. Der Arzt hingegen wurde als ältester Freund und Schützling des Hauses Bagradian zu Gabriel entsandt. – Was den kranken Apotheker anbelangt, so hatte sich der kleine Rausch beim Taufgelage als eine Arznei erwiesen, die alle anderen Mittel, die er noch besaß, in ihrer Heilwirkung weit übertraf. Seit zwei Tagen konnte er sich auf seinen Beinen wieder besser fortbewegen, wenn auch nur langsam und mit kleinen Schritten. Ter Haigasun ließ ihn aus seinem Verschlag holen und entwickelte ihm in wenigen Worten seine Sendung: Er möge ohne Verzug seinen ehemaligen Gastfreund aufsuchen. Zwei Ordonnanzen der Jugendkohorte würden ihn auf diesem Gange stützen und ihm Hilfe leisten sowie den Mann ausforschen. Sei er gefunden, möge ihm Krikor mit Hinweis auf drohende Lebensgefahr eindringlich bedeuten, daß er so schnell wie möglich aus dem Umkreis des Lagers zu verschwinden habe. Krikor wehrte sich lange und heftig, diesen Auftrag zu übernehmen. Er sei in seinem irdischen Beruf zwar Apotheker, jedoch kein Herbergsknecht, der einen unerwünschten Gast ins Freie befördere. Auf all seine Einwendungen hatte Ter Haigasun nur die lakonische Antwort:
    »Du hast ihn uns zugeführt, nun sollst du ihn auch wieder entlassen.«
    Es half nichts. Apotheker Krikor mußte sich nach längerem Widerstand mitsamt seinen schmerzhaften Knochen auf diesen widerwärtigen Weg machen. Während er am Stock unsicher einherhinkte, prüfte er in tragischen Selbstgesprächen die Worte, mit denen er sich seiner Aufgabe in zarter und feinsinniger Art am leichtesten entledigen könne. Demgegenüber erhielt Bedros Hekim die weit gelindere Pflicht. Er hatte Gabriel Bagradian von der allgemeinen Empörung vorsichtig in Kenntnis zu setzen und die Bitte hinzuzufügen, Juliette Hanum möge bis auf weiteres ihr Zelt nicht verlassen.
    Während die andern Ter Haigasuns Verhandlung mit Krikor und dem Arzt schweigend hinnahmen, erhob einer, der sonst ein verstockter Schweiger war, seine Stimme, zu einer wortgewaltigen Rede. Bis zu dieser Stunde hatte der schwarze Hrand Oskanian als ein belächelnswerter Narr gegolten, dessen boshaft eitle Narretei man sich gefallen ließ, weil man in ihm einen tüchtigen Lehrer achtete. Nun aber durchbrach der feuerfarbene Fanatiker die Larve des Narren. Alle starrten ihn gebannt an, denn von seinen Worten ging eine wilde Kraft

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