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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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hatte den Bericht kaum zu Ende gehört, als sie mit hochrotem Gesicht ihren Seidenschal um die Schultern warf und das Blockhaus verließ, um die andern Muchtarinnen aufzusuchen, die Damen der guten Gesellschaft gewissermaßen, die unter ihrem Protektorat standen. Für alles andre sorgte Sato. Sie erlebte jetzt einen dreifachen Triumph. Erstens hatte sie dem Effendi etwas angetan, von dem er sich nicht bald erholen würde. Zweitens durfte sie sich als Urheberin von Unheil und Verwirrung auf einmal als ein höchst brauchbares und tugendsames Mitglied der Ordnungswelt fühlen. Und drittens besaß sie nun eine Wissenschaft voll anziehender und selbstgesehener Einzelheiten, kraft derer sie sich unter der jugendlichen Horde eine Stellung erringen konnte. Darin täuschte sie sich auch am wenigsten. Zuerst waren es ein paar von den überreifen Mädchen, die sie mit ihrem schwülen Ichweißetwas herbeilockte. Andre kamen dazu. Sato zog mit Berichterstatter-Meisterschaft die prickelnde Schilderung in die Länge und genoß dabei das unbekannte Glück, Mittelpunkt zu sein. Schließlich erfuhr auch Stephan in den gemeinsten Ausdrücken und häßlichsten Bildern die Schmach seiner Mutter. Er verstand den Sinn des Geschwätzes anfangs gar nicht. Mama stand zu hoch, als daß Sato und das Gesindel sie überhaupt meinen konnte, wenn es ihren Namen in den Mund nahm. Mama (wie neuerdings auch Iskuhi) war ein verhülltes Götterbild, an dessen Beine, Schenkel, Schultern und Brüste man ohne einen fieberhaften Schauer der Entweihung selbst in tiefster Tiefe der Nacht nicht denken durfte. Immer fassungsloser stand Stephan da, während die Horde ihn selig grausam umlachte und Sato immer neue Nuancen hervorschnatterte. Sie hatte plötzlich ihren gaumigen Sprachfehler verloren und erzählte mit erfahrener Gewandtheit. Wie nämlich der Mißerfolg ein religiöses, so ist der Erfolg ein körperlich-seelisches Heilmittel. Das gesteigerte Selbstbewußtsein beseitigte in diesen Minuten Satos Sprachstörung. In Amerika und um einige Kulturgrade höher geboren, hätte sie es zweifellos zu einer angesehenen Reporterin gebracht. Stephan schwieg und seine großen Augen wurden immer größer. Dann aber war es das Werk einer Sekunde, daß er sich auf die Spionin stürzte und ihr so kräftig ins Gesicht schlug, daß ihr das Blut über Mund und Kinn zu laufen begann. Er hatte sie nicht ernstlich verletzt. Nur die Nase blutete eine Weile. Sato jedoch stieß lange gräßliche Schreie aus, als sei mindestens das Massaker über sie gekommen. Wie alle Primitiven war sie unvergleichlich wehleidiger und blutfürchtiger als ein Kulturmensch. Nun aber wandte sich das Blatt, so daß ein zynischer Beobachter seine helle Freude hätte haben können. Sato, das Randgeschöpf, der Schakal, die verjagte »Stinkerin«, wurde urplötzlich ein Gegenstand des Mitgefühls und der Achtung. Heuchlerische Stimmen erhoben sich: »Er hat ein Mädchen geschlagen.« Und die langunterdrückte Abneigung gegen die Zugereisten, Überheblichen und Unechten brach aus. Vergessen war der Königsrang der Bagradians, den man ihnen ein paar Stunden lang nach jedem abgewehrten Angriff im stillen zubilligte. Der Urhaß gegen die anmaßenden Außenseiter blieb übrig. Mit mordgierigen Grimassen warfen sich die Buben auf Stephan und es begann teils eine Prügelei, teils eine Jagd, die sich bis zur Stadtmulde und auf den Altarplatz verzog. Hagop hielt im Gegensatz zu seinem charakterlosen Lachen während der Freiwilligenwahl jetzt sehr tapfer zu Stephan. Er hüpfte an seiner Krücke mit weiten erbitterten Sprüngen immer wieder zwischen den Freund und seine Verfolger. Haik aber war nicht da, um zu beweisen, wie er in Wahrheit zu Stephan stand. Der Aleppo-Läufer verbrachte die letzten Stunden auf dem Damlajik einsam mit der Witwe Schuschik, seiner Mutter. Der Bagradiansohn floh zwar vor dem Rudel, war aber dennoch stärker und größer als die meisten. Hängten sich ein paar an ihn, so schüttelte er sie ab wie der Bär die Hunde. Bekam er jedoch einen wirklich zu fassen, dann schmiß er ihn so gründlich hin, daß ihm Hören und Sehen verging. Mag es auch der allgemeinen Überzeugung widersprechen, das Stadtkind zeigte sich den Naturkindern an Körperkraft weit überlegen. Diese Verfolgung stellte den Respekt zwischen den Jägern und dem Wild wieder her. Das Geheul aber holte alle Bewohner der Stadtmulde aus den Hütten auf den Altarplatz. Nun war wieder Sato an der Reihe, mit ihren Berichten zu

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