Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
Vom Netzwerk:
sich mit seinem Rucksack davon, das Weinen nicht mehr verbeißend. Auf dem Nordsattel geriet er in das feierliche Treiben, das dem Abschied Haiks und der Schwimmer galt. Niemand sprach mit ihm, dem gestürzten Helden. Die Leute sahen ihn so merkwürdig an und wandten die Köpfe weg. Öfters spürte er hinter sich ein Gelächter, das ihm durch Mark und Bein ging. Als er der Haik-Bande ansichtig wurde, machte er einen großen Umweg. Nun war er der Ausgestoßene. Sato aber, aufgeblasen und dick von ihrem Triumph, schien noch immer inmitten der Horde lüsterne Erfahrungen zum besten zu geben. Stephan legte sich schließlich hinter eine der Verteidigungsfallen, wo er ungeschoren blieb und alles in Ruhe betrachten konnte.
    Zuerst wurden die beiden Schwimmer mit Segenswünschen entlassen. Da sie Protestanten waren, hielt Aram Tomasian eine kurze Ansprache, Ter Haigasun aber machte das Kreuzeszeichen über die Stirn der Jünglinge. Danach begleiteten der Priester und der Pastor die Schwimmer über den ersten Graben und die Sattelkerbung hinaus bis zu dem Punkt, wo die buschreiche Berglehne gegen Norden ansteigt. Verwehte Wolken des entfernten Waldbrandes schoben hier ihr dünnes Medium vor, das wie sonderbare Lauge das metallische Mondlicht in zittrige Schwaden zerlegte. Es sah wirklich so aus, als schickten sich die Schwimmer und ihre Begleiter in ein lichtgetränktes, aber unwiderrufliches Jenseits. Die Menge wollte nachströmen. Bewaffnete jedoch bildeten eine Kette, die nur die Angehörigen und Verwandten durchließ. Dies hatte Pastor Aram zu dem Zwecke angeordnet, damit der letzte Abschied nicht durch Unberufene gestört werde. Den Anfang machten die entfernteren Sippenglieder und die Taufpaten. Jeder von ihnen gab den jungen Leuten irgend ein kleines Geschenk mit auf den Weg, einen Rest Tabak, ein kostbares Stückchen Zucker oder auch nur ein Heiligenbild oder Amulett. Die Geistlichen sorgten dafür, daß dieser Vorgang nicht in die Länge gezogen werde, und kaum hatten die Verwandten ihre Gabe dargebracht, mußten sie sogleich mit Ter Haigasun und Tomasian den Ort verlassen. Nur die Allernächsten blieben dann noch eine Weile bei den Schwimmern zurück. Eine kurze erstickte Umarmung! Ein Kuß auf die Vaterhand gedrückt! Ein schluchzendes Rückenkehren der Mutter. Ein halberfrorener Wink. Dann gingen auch die Eltern.
    Dies und auch was jetzt geschah, erfüllte das Herz des vereinsamten Stephan mit bittersüßer Traurigkeit. Noch immer waren die Schwimmer nicht allein. Plötzlich standen zwei Mädchen neben ihnen. Sie glichen den Jünglingen wie Schwestern. Wahrscheinlich aber waren sie ihre Verlobten oder auch nur zarte Bekanntschaften. Der todesträchtige Anlaß hob den strengen Brauch auf, der es einer Braut verbot, mit ihrem Bräutigam allein zu bleiben. Die beiden Paare lösten sich voneinander und begannen, offensichtlich schweigend, die Höhe hinanzuwandern. Die Mädchen bekannten sich damit öffentlich zu ihrer Liebe, die menschlicher Voraussicht nach niemals ihre Erfüllung finden konnte. Auch die Menge schwieg, trotz aller Not durch den Anblick dieser jungen Menschen bewegt, die Hand in Hand in der unbestimmten und lichtdurchwirkten Rauchwehe verschwanden. Es dauerte aber nicht sehr lange und die Mädchen kehrten zurück, langsam die Lehne wieder hinabsteigend, jedes für sich.
    Indessen hatte Ter Haigasun auch zu dem Aleppo-Läufer einige mahnende Worte gesprochen und ihn gesegnet und bekreuzigt. Der Abschied von dem Knaben spielte sich viel rascher und kühler ab. Witwe Schuschik, die Zugewanderte, besaß hierzulande weder eine Sippe noch auch hatte sie sich einen einzigen Freund geworben. Die Leute mieden bekanntlich das Häuschen der kaukasischen Riesin, das auf dem Wege zwischen Yoghonoluk und Azir lag. Obgleich ihr niemand etwas Böses nachsagen konnte, hatte sie doch einen unangenehmen Ruf als weiblicher Grobian und überhaupt als eine, die nicht dazugehörte. In dieser Hinsicht bleibt sich die eingeborene Gesellschaft in der ganzen Welt gleich. Zugewanderte sind immer verdächtig. Auch hatte Witwe Schuschik bisher keinerlei Annäherungsversuche an die Menschheit des armenischen Tales unternommen, sondern mit ihren großen Arbeiterhänden immer einsam gewirtschaftet. Die Folge war, daß nur Ter Haigasun und Pastor Aram sie begleiteten, als sie ihr Eins und Alles dahingab, ihren Haik.
    In Stellvertretung des Vaters umarmte und segnete Ter Haigasun den Jungen und empfing von ihm den Sohnes-Handkuß. Er

Weitere Kostenlose Bücher