Die Violine des Teufels
wie er zur Zielscheibe des Spotts und auf sämtlichen Titelseiten als der Inspector dargestellt wurde, der von einer Hobbyhellseherin aufs peinlichste buchstäblich an der Nase herumgeführt worden war.
Als Ordóñez sah, wie schweigsam er geworden war, fragte sie: »Halten Sie mich für verrückt?«
»Ich weiß es nicht. Ich versuche, das, was Sie mir erzählt haben, so zu verarbeiten, dass es für mich akzeptabel ist. Und ich habe einen wichtigen Zweifel.«
»Mal sehen, ob ich den beseitigen kann.«
»Kann es nicht sein, dass die Wahrnehmung, die Sie gerade hatten, sich auf jemand anderen bezieht? Auf einen Zuschauer, der hier saß, oder einen der Wachmänner, der vielleicht bei seiner Runde zwischen diesen beiden Reihen durchging?«
»Das ist völlig ausgeschlossen. Die Person, die sich zwischen den Sitzen versteckt hat, befand sich in einem Schockzustand, ihr Stressniveau war sehr, sehr hoch. Deshalb kommt es ja zu einer außersinnlichen Wahrnehmung: weil jemand eine so starke psychische Energie verströmt, dass sie selbst noch Jahre danach wahrgenommen werden kann.«
Perdomo beschloss, sich einstweilen mit dieser Erklärung zufriedenzugeben, und begleitete Ordóñez zum Ausgang. Hin und wieder reichte er ihr den Arm, wenn er befürchtete, sie könne erneut ohnmächtig werden. Mitgenommen, wie sie beide waren, benötigten sie beinahe zehn Minuten für den Weg zum Kabuff, wo sich die beiden Wachmänner nach absolviertem Rundgang die Zeit vertrieben, indem sie sich eine scheußliche Fernsehsendung der Sorte »Anrufen und Gewinnen« ansahen. Der Dicke stand auf, öffnete ihnen die Eingangstür und wünschte ihnen eine gute Nacht, als wäre nichts gewesen – ganz offensichtlich hatte er den grauenhaften Schrei der Hellseherin nicht gehört. Dann traten sie hinaus in die frische Madrider Nachtluft.
In der Ferne erblickte Perdomo die verhasste Silhouette des Hundes, der ihm an die Gurgel gewollt hatte, von hinten durch eine Straßenlaterne angeleuchtet. Der Hund hechelte langsam, als wartete er schon eine geraume Weile darauf, dass sie wieder aus dem Gebäude kamen.
Perdomo vermutete, da das Tier wusste, dass er bewaffnet war, würde es nicht noch einmal wagen, sie anzugreifen, doch vorsichtshalber spannte er die Waffe und steckte sie dann in die Manteltasche.
39
P erdomo hatte sich fest vorgenommen, sich erst wieder mit Ordóñez in Verbindung zu setzen, wenn diese das, was sie selbst »olfaktorisches Aufblitzen« genannt hatte, verarbeitet hatte. Doch die Notwendigkeit, diesen Fall aufzuklären, in dem er noch nicht eine einzige handfeste Spur hatte, sorgte dafür, dass er schon am nächsten Morgen darauf brannte, sie anzurufen.
Dennoch erschien ihm der Gedanke, einen Mörder mit Hilfe eines Geruchs zu identifizieren, wie Science-Fiction. Ein Kollege von der Kriminaltechnik sagte ihm, in Spanien gebe es für so etwas keinen Präzedenzfall. Die Briten würden allerdings seit einiger Zeit daran arbeiten, eine verlässliche Methode zu entwickeln, mit deren Hilfe man einen Täter durch seinen Körpergeruch identifizieren könne. Den Experten zufolge erzeuge jeder Mensch einen Geruch mit einer ganz eigenen chemischen Formel; auf jeden Fall rieche wirklich jeder nach irgendetwas, auch wenn eine ungeschulte Nase diesen Geruch womöglich nicht wahrnehmen könne. Der Geruch eines Menschen hänge von zwei Faktoren ab: den Bakterien auf der Haut und den Pheromonen, also den chemischen Sekreten, die jedes lebende Wesen absondert, um ein bestimmtes Verhalten bei einem anderen Angehörigen seiner Spezies hervorzurufen. Der Kollege von der Kriminaltechnik erklärte Perdomo weiter, die Pheromone seien ein sehr potentes Kommunikationsmedium zwischen den Menschen. Der große Vorteil des Geruchs gegenüber beispielsweise Fingerabdrücken liege darin, dass man diese mit Säure oder durch eine Operation entfernen könne, während die Absonderungen der Schweißdrüsen eines Menschen niemals vollständig zu beseitigen seien, sosehr man sich auch mit einem Schwamm abreibe oder mit Deodorant parfümiere.
Es werde daher an einem Verfahren gearbeitet, bei dem man die Hand auf einen Sensor legt und dieser den Körpergeruch des Betreffenden mittels eines hochkomplexen Systems von Algorithmen identifiziert. In der Zukunft werde dieser Geruchsabdruck womöglich auch in den Personalausweis aufgenommen oder – warum nicht? – in die Kreditkarte.
»Was hast du vor, Perdomo?«, fragte der Kriminaltechniker noch.
»Das erfährst du,
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