Die Violine des Teufels
Wahrnehmung diesmal nicht funktionieren könnte, wie sie ihn vorgewarnt hatte. In seinem Kopf hallte noch immer wider, was sie bei ihrer ersten Begegnung gesagt hatte: dass ihre erste Zusammenarbeit mit der Polizei ein totales Fiasko gewesen war. Zum anderen hatte Perdomo Angst, die paranormale Erfahrung, die ihnen unter Umständen bevorstand, könne traumatisch sein. Was, wenn die Frau eine Panikattacke bekam oder während der Sitzung das Bewusstsein verlor? Was, wenn sie bei all dem Stress einen Herzinfarkt erlitt? Jetzt bereute Perdomo, dass er Ordóñez nicht genauer über ihre Begabung ausgefragt hatte, doch nun war es zu spät. In ihrer Miene spiegelte sich äußerste Konzentration, und es war klar, wenn er sie in diesem Augenblick mit einer Frage störte, käme das einer Sabotage ihrer Tätigkeit gleich. Völlig in seine Gedanken versunken, bemerkte Perdomo erst mit Verzögerung, dass Ordóñez gar nicht mehr durch den Saal schlenderte, sondern ihn mit einer hilflosen Miene ansah, die seine Befürchtungen bestätigte. Worte waren nicht vonnöten: Ordóñez gab sich eindeutig geschlagen.
»Und wenn wir eine Pause machen und Sie es etwas später noch einmal probieren?«, fragte Perdomo, der ebenso enttäuscht zu sein schien wie sie.
»Sinnlos. Wenn es nicht funktioniert, funktioniert es nicht.«
»Wollen Sie nicht einmal das Klavier untersuchen?«
Ordóñez machte eine resignierte Handbewegung, und Perdomo ging hinab zu dem großen Yamaha-Flügel, um ihr bei der Untersuchung behilflich zu sein. Er öffnete die Abdeckung, die sehr schwer war, und befestigte sie. Er hatte die Hoffnung, dass die Lösung sich im Inneren des Instruments verbergen könne, und bedeutete Ordóñez mit einer Geste, sie solle sich darauf konzentrieren. Sie streckte sogar die Hand in den Korpus und strich über einige der Saiten, doch Perdomo, der sie nicht eine Sekunde aus den Augen ließ, merkte, dass sie nach wie vor nichts wahrnahm.
»Hat er sie auf dem Flügel umgebracht?«, fragte sie plötzlich.
»Nein, dann hätte er sie nicht mit dem Unterarm strangulieren können. Er hat sie im Stehen getötet und sie erst danach auf das Instrument gelegt, um das Wort Iblis auf ihre Brust schreiben zu können.«
Ordóñez hob den Blick und musterte die vier Türen, die in den Saal führten: zwei im oberen Teil, wo die seitlichen Treppen endeten, und zwei im unteren Teil, zu beiden Seiten der Stuhlreihe, die für die Sänger bestimmt war.
»Weiß man, wo er hereingekommen ist?«
»Das Opfer kam durch die untere linke Tür. Sie liegt den Garderoben am nächsten. Aber wo der Mörder hereinkam, wissen wir nicht.«
Ordóñez ging zu einer der unteren Türen und vergewisserte sich, dass sie nach innen geöffnet wurde. Dann schienen die oberen Türen sie neugierig zu machen, und bedächtig begann sie, die Treppe hinaufzusteigen. Auf der dritten Stufe stolperte sie, stürzte und blieb scheinbar ohnmächtig zwischen der dritten und vierten Reihe liegen. Jedenfalls regte sie sich nicht, und Perdomo rannte zu ihr, um ihr aufzuhelfen.
Als er ihr Gesicht erblickte, sah er, dass sie aus der Nase blutete.
Die Blutung war nicht sehr stark, nur ein dünnes Rinnsal, so dunkel, dass es beinahe schwarz wirkte. Wie zähflüssige Tinte lief das Blut ihr langsam übers Gesicht auf den Mund zu.
Doch das war nur der Anfang.
Nun wurde die Hellseherin leichenblass. Ihre Augen schlossen sich halb, und die Augäpfel unter den Lidern begannen, sehr schnell zu zittern, wie es manchmal in der REM-Phase des Schlafs geschieht. Dann merkte Perdomo, dass Arme und Beine der Frau sich versteiften und ihr Rücken sich durchbog; er beeilte sich, sie festzuhalten, damit sie sich nicht verletzte. Da riss sie die Augen weit auf, so dass Perdomo ihre Pupillen sehen konnte: Sie waren starr und geweitet. Die Augen waren völlig ausdruckslos wie die einer Puppe. Jetzt stieß sie ein markerschütterndes Geheul aus, zunächst kaum hörbar, dann immer höher, bis an die Höchstgrenze dessen, was das menschliche Ohr wahrnehmen kann.
Nach diesem wahrhaft grauenhaften Schrei, der in Perdomos Ohren alles andere als menschlich klang, durchzuckten jäh Konvulsionen Ordóñez’ Körper, und Perdomo hielt sie fest, so gut er konnte, doch die Krämpfe waren so heftig, dass es beinahe über seine Kräfte ging. Allmählich ließen sie wieder nach, und nach etwa einer halben Minute lag die Frau völlig still und schien das Bewusstsein zu verlieren.
Perdomo erschrak. Die Vorstellung,
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